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ICH ZUERST!

Fünf Tage in der Woche ist Papa auf Achse und muss mühsam das Geld verdienen, das Frau und Kinder in der Folge ernährt. An fünf Tagen in der Woche sehe ich meine Familie nur stundenweise, tragischerweise immer dann, wenn alle hundemüde sind, kurz vor dem Schlafengehen. Zum Glück gibt es ja die Wochenenden, wo ich meine Kinder auch mal im ausgeschlafenen Zustand betrachten kann. Und dann gibt es da noch die Glücksfälle der Brückentage, an denen ein Wochenende angenehm lang wird. Obwohl… In der Rückschau muss ich leider mit einem gewissen Mißfallen feststellen, dass die vier Tage erschreckend schnell schon wieder vorbei waren. Nun ja, das ist ja ein altbekanntes Problem: Wenn es langweilig ist, dröge und irgendwie völlig uninteressant, dehnen sich die Minuten zu schier unendlichen Stunden. Hat man aber Spaß und Freude, fliegt die Zeit. Schlecht organisiert, diese ganze Geschichte mit der Zeit…

Vier Tage mit der Familie, was für ein Spaß! Der Vatertag fiel ja dieses Jahr überraschend auf einen Donnerstag, und natürlich habe ich als Vater die Möglichkeit beim Schopfe ergriffen, mich meinen väterlichen Pflichten ausgiebigst zu widmen. Statt mich also einer Horde Pseudoväter anzuschließen und mit einem Bollerwagen bewaffnet durch die Lande zu ziehen, um mittels Unmengen von Alkohol auch die letzten enzephalografischen Schwingungen mit Gewalt in Richtung Nulllinie zu prügeln, verbrachte ich Christi Himmelfahrt damit, meinen Sprösslingen die Welt der Bits und Bytes näher zu bringen. Wiewohl die beiden Nachwüchslinge noch einstellig an Jahren sind, halten es meine Frau und ich doch für wichtig, sie so ganz allmählich und spielerisch an eines der wichtigsten Arbeitsgeräte unserer (und wohl noch mehr ihrer) Generation heranzuführen.
Mit anderen Worten: Ich richtete meinen Kindern einen eigenen Computer ein. Was für ein Luxus! Tatsächlich waren wir aber in der Lage, meinen Kindern mittels einiger zwar arbeitsloser, aber arbeitswilliger PC-Teile sowie eines kostenlosen Betriebssystems einen Rechner zum Nulltarif zu basteln. 

An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die großelterlichen Spender von ungefähr 98 Prozent des infantilen Rechenknechts!

Hätte ich allerdings gewusst, was über mich hereinbrechen sollte, vielleicht hätte ich noch das eine oder andere Dutzend Jahre gewartet. Der Zusammenbau der Einzelteile und die Installation eines einfachen, altersgerechten und vor allen Dingen kostenlosen Betriebssystems waren überhaupt kein Problem für mich, da ich schon ein wenig Übung und Erfahrung im PC-Bau sowie dem dazugehörigen hingebungsvollen Fluchen hatte. Schon um die Mittagszeit des Vatertages herum konnten meine Kinder einen funktionstüchtigen Computer sowie einen Vater beobachten, der verzweifelt versuchte, Aufgabenstellung und Funktionsweise von Programmen zu verstehen, die für Kleinkinder gedacht waren. Es ist eben doch eine ganz andere Welt als die der Erwachsenen…
Mein Kinder belächelten also milde den väterlichen Versuch, eine verrückt gewordene Computermaus zu zähmen, Ballons in unterschiedlichen Farben zu erkennen und zu sortieren, und was der kindlichen Aufgaben da mehr sind. Immerhin war und ist es unser elterlicher Anspruch, den Kinder unter Anleitung des Brutpaares die Welt der Datenverarbeitung näherzubringen. Da sollte man schon wissen, welche Aufgaben da auf die angehenden IT-Fachkräfte warten.
Dies alles war auch keine sooo große Herausforderung. Angesichts meiner Weigerung, tatsächlich mal erwachsen zu werden, fiel es mir erstaunlich leicht, hinter die Geheimnisse der Lernprogramme zu kommen. Allerdings fiel es mir mit der Zeit immer schwerer, mich auf die Aufgabenstellung zu konzentrieren, weil ständig jemand auf mich einbrüllte: „ICH AUCH! ICH AUCH MAL, PAPA!“
Na gut, da hatte ich wohl keine andere Wahl. Nur widerstrebend machte ich den Platz vor dem neuen Spielzeug frei, um sogleich Zeuge einer epischen Schlacht zu werden: Die Schlacht um den Platz an Maus und Tastatur! Gemeinsamer Schlachtruf beider Kriegsparteien war „ICH ZUERST!“, wahrscheinlich mit Gottes (also meiner) Hilfe... aber das tat ich nicht. Stattdessen wartete ich den Verlauf der Schlacht ab und entfernte beide Streithähne vom Schlachtfeld, als klar wurde, dass heute keine Entscheidung fallen würde. Ich verkündete das Ende der Schlacht aufgrund väterlichen Befehls. Danach bestimmte ich nach dem Zufallsprinzip den ersten Benutzer und setzte Sohnemann (Alter vor Schönheit!) an den Rechner. Meine Hoffnung, damit zu ein wenig Ruhe zu kommen, erfüllte sich nicht, denn Töchterchen beharrte darauf: „DA WOLLTE ICH ABER!“ Nun ja, man kann nicht alles haben.
Erstaunlicherweise erwies sich Jung Siegfried als kleines Naturtalent. Schnell hatte er nicht nur herausgefunden, wozu Tastatur und Maus in der Lage sind, sondern auch, wo er klicken musste, um ein spezielles Programm („EISENBAHN!!“) zu starten. Das Beenden dieses Programmes nach gefühlten zehn und realen dreißig Minuten scheiterte nicht etwa an den Fähigkeiten meines Nachwuchs-Programmierers, sondern an seinem Unwillen, den Platz aufzugeben. Aber ich hatte es nun mal meinem Töchterchen versprochen! Der Kampfschrei „DA WOLLTE ICH ABER!“ wurde ersetzt durch „DA WAR ICH ABER ZUERST!“, während ich mit unserer jungen Dame die ersten Schritte am Computer unternahm. Unter Aufbietung meines ganzen Willens gelang es mir, das Enfant terrible mit seinem Hintergrundgeschimpfe auszublenden, während ich meiner Tochter erklärte, dass es weder dem Computer noch der Maus gut tut, wenn man letztere in die allgegenwärtige Handtasche stopft, ohne wenigstens vorher gewisse Kabelverbindungen zu lösen. Nachdem unser Mädchen allerdings entdeckt hatte, dass die Maus a) schöne Farben und b) lustige Geräusche machen konnte, war das Hightech-Gerät vor einem Leben in der Dunkelheit erst mal sicher.
Nach weiteren dreißig Minuten stand der letzte Akt in der Schlacht um den Computer unter dem Motto: Wenn’s am schönsten ist, sollte man aufhören. Erwartungsgemäß stieß dieses Motto auf vollkommen taube Ohren, sodass ich dann doch gezwungen war, meine Ansichten über die Sitzungsdauer am neuen Spielzeug etwas vehementer vorzutragen. Mit Grandezza schaltete ich den Rechner schlicht aus und erklärte: „Och, leider kaputt!“ Mein Mienenspiel schien wenig überzeugend gewesen zu sein, denn weder Sohnemann noch Prinzessin glaubten mir auch nur ein Wort. Da werde ich wohl noch an meinen schauspielerischen Leistungen arbeiten müssen. Zum Glück lassen sich unsere beiden Streithähne und Sturköpfe schnell ablenken, in diesem Fall mit ein wenig Süßwaren und dem Versprechen, dass wir uns bald wieder in ein binäres Abenteuer stürzen werden. Dann aber werden die aufsichtführenden Alttiere die Plätze an der Tastatur im Losverfahren vergeben! Obwohl ich behaupte, dass wir trotzdem den fürchterlichen Kampfschrei hören werden: „ICH ZUERST!“

Was wir an den restlichen drei Tagen des Wochenendes gemacht haben? Da möchte ich mit Michael Ende antworten: „Das ist eine andere Geschichte, und soll ein anderes Mal erzählt werden.“

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