Vor einiger Zeit stand ich mit einigen Freunden in illustrer
Runde und diskutierte verschiedene Lösungsansätze zur Bewältigung einiger der
dringenderen Probleme dieser Welt, als es plötzlich in meiner Nase leicht, aber
unangenehm kribbelte. Meine erste Reaktion auf diesen Hinweis einer nasalen
Schutzfunktion war ein Handrücken, der heftig die Nase bearbeitete, bis sie
leise Knackgeräusche von sich gab. Das Gespräch nahm davon völlig unbeeindruckt
seinen weiteren Lauf, bis es wieder in meiner Nase kribbelte, dieses Mal aber
ein wenig nachdrücklicher. Meine bisherigen Erfahrungen mit kribbelten Nasen
lehrte mich, dass es nun höchste Zeit war, auf die Suche nach einem Taschentuch
zu gehen. Während ich diverse Hosentaschen abklopfte, holte ich tief und hörbar
Luft. Das bis dahin munter vor sich hin plätschernde Gespräch erstarb, und die
komplette Gesprächsrunde beobachtete mich mit einer Mischung aus Spannung und
Sensationsgier. Während ich hektisch in meinen Hosentaschen kramte, schlossen
meine Freunde schon Wetten ab: „‘n Zehner, dass er kein Taschentuch findet.“
„Nee, das schafft er schon noch!“
Meine Lungenflügel waren mittlerweile bis zum Bersten gefüllt mit schöner,
frischer Luft, als ich vorne rechts endlich einen Zelluloseklumpen ertastete,
der vor nicht mal drei Wochen noch ein frisches Taschentuch gewesen war. Mit
zitternden Fingern, halb blind in Vorbereitung eines heftigen Niesens, fummelte
ich das Taschentuch Stück für Stück aus der Tasche und versuchte, die einzelnen
Fetzen irgendwie vor die Nase zu bekommen. Inzwischen verweigerten die Lungen
die weitere Luftaufnahme und wiesen vehement daraufhin, dass es nun höchste
Zeit sei, auszuatmen. Egal, wie!
Meine Freunde betrachteten mich interessiert. Meinen Kopf weit in den Nacken
gelegt, mit Lungenflügeln groß wie Elefanten, weit aufgerissenem Mund und einem
Zellulosepuzzle vor der Nase erwartete ich nunmehr den Ausstoß sämtlicher
Fremdkörper dieser Welt aus meinem Riechorgan.
Und dann kam… nichts! Das Kribbeln verging ebenso schnell,
wie es gekommen war. Die Luft entwich geräuschvoll aus meinem überdehnten
Atemapparat, der Kopf klappte nach vorn, mein Taschentuch wanderte umgehend in
die nächste Tonne. In den Gesichtern meiner Zuschauer zeigte sich ein klein
wenig Enttäuschung, während ich selbst doch sehr verwirrt darüber war, nun doch
nicht genossen zu haben. Dafür aber lief mir die Nase, und zwar heftig. Mein
eigenes Taschentuch war ja nun gerade in die ewigen Jagdgründe gegangen, aber
wozu hat man denn Freunde? Mir wurde ein neues, sogar ungebrauchtes Taschentuch
in die Hand gedrückt, mit dem ich denn nasalen Dammbruch schließen und die
bisherigen Flüssigkeitsströme aufnehmen konnte. Oh, welch Wohltat. Nun endlich
konnte das Gespräch wieder aufgenommen werden.
Ich wollte gerade mit einem gelehrten Diskurs über den EU-Beitritt diverser
Staaten beginnen, als plötzlich ein weiteres, ausgesprochen heftiges Kribbeln
meine Nase überfiel. Ich griff in die Hosentasche, fasste in irgendetwas eklig
nasses und zog daran. Aber bevor ich auch nur ansatzweise meine Nasenöffnungen
verschließen konnte, schossen unzählige Tropfen, beladen mit Myriaden von
Viren, Bakterien und anderen Passagieren, mit nahezu unglaublicher Wucht aus
der Nase, begleitet von einem ebenso überraschten wie lauten „ATSCHÜHH!“ Ich
hatte nicht einmal die Gelegenheit, wenigstens die Armbeuge vor das Gesicht
zu heben. Ich schaffte es gerade mal,
meinen Kopf abzuwenden, was aber auch nur zur Folge hatte, dass der feuchte
Strahl viraler Überraschung nicht in einer engen Keule nach vorn aus der Nase entschwand,
sondern sich in eine breite, elegante Kurve auffächerte, woraufhin sich meine
Gesprächsrunde sprunghaft erweiterte.
Jetzt endlich, lange nach der plötzlichen Verbreitung biologischer
Kleinstteile, konnte ich das noch nasse Taschentuch dazu nutzen, wenigstens die
feuchten Überreste des Niesanfalls aus meinem Gesicht zu entfernen, während ich
ein nasales „Schuldigung“ in die Runde schniefte.
Obwohl dies mein einziger Ausbruch überraschender Niesübungen war, blieben
meine Freunde im weiteren Gespräch auf respektvollem Abstand, was ich ihnen
auch nicht übelnehmen konnte.
Wer will sich schon mit einem ganzen Psychrempel anstecken? Sehen Sie, meine
Freunde auch nicht.
Nur wenige Tage später konnte ich eine gute Freundin bei
einem ähnlichen Dilemma beobachten. Auch sie atmete tief ein und bereitete sich
auf einen Nieser der Extraklasse vor. Im Unterschied zu mir, schaffte sie es,
aus ihrer Handtasche ein frisches Taschentuch zu angeln, es anmutig zu
entfalten und sich vor die Nase zu halten, dies alles einhändig, weil die
zweite Hand die Handtasche festhielt, blind, weil sie den Kopf im Nacken hatte,
und rechtzeitig, bevor sie ihrem Nieser mit einem damenhaften „HAAAAA-tschi“
Ausdruck gab.
Eben diese junge Dame fragte ich wenige Minuten nach diesem geradezu niedlichen
Ereignis nach einem Taschentuch. Und soll man es glauben? Dieselbe Frau, die
gerade eben blind und einhändig ein Taschentuch in höchster Eile und Präzision
aus der Handtasche gezaubert hatte, brauchte nun geschlagene fünf Minuten, um
die Packung Taschentücher in den Tiefen ihres tragbaren Großlagers zu finden.
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