Mindestens einmal im Monat wird aus dem Jäger der Antike und
Vorzeit der Sammler der Neuzeit. Dann versammelt das
Familienoberhaupt seine Schar um sich und überfällt mit Frau und
Kindern die Konsumtempel der Stadt. Und irgendwie ist das monatliche
Einholen der Nahrungsvorräte mit der ganzen Familie eines der
letzten Abenteuer, denen sich ein Mann im Großstadtdschungel noch
stellen kann. Jedenfalls wenn er körperliche Risiken möglichst
gering halten will. Obwohl….
Letzten Monat war es natürlich auch für mich und meine Familie
wieder soweit, die Kornkammern der heimischen Scholle aufs Neue zu
befüllen. Im Verlaufe der vergangenen Wochen hatte sich der Raum
mit jedem neuen Tag ein bisschen mehr geleert, bis das Echo das einzige war,
was man in dieser heiligen Halle noch finden konnte. In wochenlanger
Kleinarbeit haben mein geliebtes Eheweib und ich eine Einkaufsliste
von epischen Ausmaßen gedrechselt und die lukullischen Gaumenfreuden
des nächsten Monats geplant, sodass uns nun, in der Morgenröte des
neuen Monats und im (wenigstens kurzzeitigen) Vollbesitz meines
Gehaltes, nichts mehr davon abhalten konnte, den diversen
Konsumtempeln der Stadt unsere plündernde Aufwartung zu machen,
einen jeden Tempel nach seinen Waren- und Sonderangeboten.
So
wurden die Kinder in ihre besten Schuhe gesteckt und im Fond unseres
Familienlasters vertäut, die Einkaufskisten wurden im geräumigen
Kofferraum nach Art des Tetris möglichst effektiv eingebaut, und
schon strebten wir dem ersten Supermarkt auf der Liste entgegen.
Das
Einkaufen an sich ist ja nicht so schwer. An jedem Laden gibt es ein
strategisch günstig gelegenes Einfallstor, wo man auch gleich einen
dieser ebenso praktischen wie widerspenstigen Gitterwagen mieten
kann, in dem wir nicht nur unsere Kinder lagern, sondern auch unsere
Beute einsammeln können. Und dann schiebt man seinen Wagen von einem
Gang in den nächsten und hakt auf der Einkaufsliste Artikel um
Artikel ab, bis der Wagen gefüllt ist und man sich in der Schlange
vor der Kasse mental auf die Überschreibung seiner finanziellen
Mittel im Austausch gegen eine Handvoll Lebensmittel vorbereitet.
Soweit die Theorie. Und solange man allein oder in Begleitung eines
normal vernunftbegabten Erwachsenen einkaufen geht, stimmt die
Theorie mindestens größtenteils mit der Praxis überein. Aber
nicht, wenn Kleinkinder ins Spiel kommen.
Das fängt schon mal
damit an, dass ich den so mühsam gedichteten Einkaufszettel im
ganzen Haus suchen muss, weil er eben nicht mehr am Küchenschrank
hängt, wo ich ihn eigentlich erwartet habe. Letztlich finde ich den
Zettel in einer der unzähligen Taschen meiner Tochter, die darin
alles verstaut, was sich nicht rechtzeitig dem Zugriff ihrer acht
Arme entziehen kann.
Ein stetiger Redefluss von den billigen
Plätzen untermalt die Fahrt zum Supermarkt unseres Vertrauens:
„Können wir Schokolade haben? Darf ich ein Spielzeug? Ich brauche
unbedingt ein Buch!“ Und auf dem Parkplatz werden Vater und Mutter
regelmäßig Zeugen eines kleinen Wunders: Während es Jung Siegfried
und Prinzessin AufderErbse im Normalfall kaum schaffen, das Auto in
einem ansprechenden Zeitraum zu verlassen, platzen sie nun, kaum, dass
die Türen geöffnet werden, aus dem Auto. Ich bin überzeugt davon,
dass mein Frauchen und ich in der ganzen Stadt bekannt sind als das
Paar, das auf jedem Parkplatz erst mal laut „STOP!“ brüllt. Die
Herde ist kaum zu halten, wenn es darum geht, einen Konsumtempel (mit
Aussicht auf Süß- und/oder Spielwaren) zu entern.
Im Laden geht
es dann auch nicht unbedingt ruhiger zu, denn grundsätzlich alle
angebotenen Waren sind hochgradig interessant und wollen gewissenhaft
untersucht werden. Einer der häufigsten Sätze im Verlaufe der
Plünderung der Regale ist demzufolge: „Nein, das brauchen wir
nicht. Bring es bitte zurück, wo du es her hast.“ Trotzdem müssen
wir in heiterer Regelmäßigkeit verschiedene Gemüsedosen, kleinere
Dekorationsartikel, Nippes und merkwürdiges Spielzeug aus unserem
Einkaufswagen sammeln. Die Kinder sind ebenso regelmäßig
ausgesprochen enttäuscht, wenn sie ihre Beute wieder zurückbringen
müssen. In den Fällen, in denen die Kinder ihre Beute nicht in den
Wagen legen, finden wir die Dosen säuberlich aufgereiht vor den
Regalen. Es bedarf dann einiger klärender Worte, eines bösen
Blickes und zuweilen auch einer Drohung mit Süßwarenentzug, um die
Waren wieder an ihren angestammten Platz zu bringen.
So wird die
Wanderung durch die langen Gänge des Supermarktes immer wieder
unterbrochen von Diskussionen über Bedarf oder Nichtbedarf einzelner
Waren, von Ermahnungen, bei Mama und Papa zu bleiben, von
Aufforderungen, Waren nicht umzusortieren, und so weiter und so fort.
Bis wir mit unserem planmäßigen Einkauf fertig sind, besteht das
Abenteuer Supermarkt für unsere Kinder aus einer schier endlosen
Reihe von Ermahnung, Ablehnungen und Kommandos. Und dann hängen wir
zwischen Spielwarenabteilung und Süßwarenregal. Für Ritter
Brauchichaber und Lady Alleswill die größte Herausforderung des
Tages, denn die Alttiere erlauben unsinnigerweise nur eines: Entweder
Spielzeug (ein kleines) oder Süßes (nicht viel größer)!
Langzeitvergnügen oder kurzfristige Geschmacksekstase, das ist hier
die Frage. Angesichts des nun doch schon etwas länger
zurückliegenden Frühstücks prognostizieren lieb Frauchen und ich,
dass die Wahl auf Süßwaren fallen wird, und siehe da! Beide Kinder
entscheiden sich in der Tat für Süßwaren. Welche das nun ist, ist
völlig egal, Hauptsache süß. Nun müssen Freund Hunger und Madam
Jetzt nur noch warten, bis wir endlich durch die Kasse sind. So
reihen wir uns dann in die Schlange der geduldig wartenden Einkäufer
ein, überschlagen schon mal den Rechnungsbetrag, hoffen auf
Mengenrabatt und widerstehen dem Drang, die Kasse noch ein- oder
zweimal zu wechseln, nur weil die andere Schlange scheinbar schneller
voran kommt. Während wir warten, müssen wir gefühlten
zweiunddreißig kleinen Händen ein ums andere Mal beibringen, dass
die Leckerei erst noch bezahlt werden muss, bevor sie in den Bauch
wandern darf. Aber sonst sind unsere beiden Schätze richtige kleine
Engel. Das hängt möglicherweise mit einer angedeuteten Zukunft ohne
Süßwaren zusammen, sollten sich unsere Nachkommen nicht unseren
Wünschen entsprechend verhalten.
Als wir endlich an der Kasse
angekommen sind, bemerken wir, dass praktisch alle anderen Schlangen
schneller waren als wir. Aber das ist zweitrangig. Viel mehr wurmt es
uns, dass uns die diensthabende Kassiererin einen geradezu lächerlich
hohen Betrag aus dem Kreuz leiern will. Sie kann ihre Forderung
allerdings anhand einer eng bedruckten Tapete voller Zahlen und einer
irrsinnig hohen Summe belegen, sodass uns nichts anderes übrig
bleibt, als unsere schmalen Besitztümer zu überschreiben. Immerhin
sind wir nun wieder genügend eingedeckt, um bis zum Ende des Monats
gut leben zu können, wenn wir die Speisen streng rationieren. Den
Kindern ist das alles egal, denn endlich können sie den Lohn ihres
guten Benehmens genießen, während Vater und Mutter den
Familienlaster bis unter das Dach mit Speis und Trank befüllen. Die
Heimbringung der Beute wird untermalt vom zufriedenen Schmatzen auf
den hinteren Rängen und dem leisen Schimpfen der Alttiere über die
absurd hohen Lebensmittelpreise von heute. Was dann folgt, geht mir
persönlich regelmäßig auf den Nerv. Während es den Kindern (noch)
vergönnt ist, nach erfolgreicher Jagd im Wohnzimmer dem kindlichen
Spiel zu frönen, muss ich die Beute in mühevoller Hand- und
Fußarbeit in die Küche wuchten, wo lieb Frauchen die Speisekammer
geduldig und halbwegs nach Plan befüllt.
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