Dass
sich die Geschmäcker von Kindern innerhalb kurzer Zeit öfter mal
ändern können, ist kein Geheimnis. Aber manchmal überrascht es
mich, welche Geschmäcker unsere beiden Augäpfelchen so entwickeln.
Nachdem Prinz Willichaber in den zurückliegenden Wochen am liebsten
die Geschichten um Leo Lausemaus verschlungen hat, wandte er sich vor
gar nicht so langer Zeit urplötzlich und völlig unerklärlich den
Gesangeskünsten von Santiano zu. Seither hören mein lieb Frauchen
und ich immer wieder „Ich will Santiano hören!“, sobald irgendwo
auch nur ansatzweise Musik zu hören ist. Nun ja, es gibt
schlimmeres.
Und natürlich ist dort, wo Prinz IchbinderBestimmer
seinen Willen lautstark kundtut, seine kleine Schwester Prinzessin
Ichauch nicht weit entfernt und fordert gleiches oder ähnliches für
sich.
Obwohl meine Frau und ich gerne und viel Musik hören, und
obwohl wir gerne die Wünsche unseres Nachwuchses berücksichtigen,
waren wir irgendwann doch ein wenig von der Einseitigkeit der
Musikvorlieben unseres Juniors und seines Schattens leicht genervt.
Und dann hatte ich eine hervorragende Idee!
Junior und Juniorette
hatten ja nun schon seit einiger Zeit eigene Lärmerzeugungsgeräte
mit Radio und CD-Player in ihren Zimmern stehen. Bisher wurden diese
Geräte genutzt, um gegen Abend (und damit allgemeiner Schlafenszeit)
den Kindern automatisiert Schlaflieder ins Ohr zu säuseln. Eine
Bedienung durch Kinderhände war zwar möglich, bisher aber nicht
vorgesehen. Aber das kann man ja ändern.
Die Segnungen moderner
Technik versetzten mich mittels Multimedia-PC, einer gar nicht mal so
kleinen Musiksammlung und eines CD-Grills in die Lage, individuell
auf die kindliche Ohren und Geschmäcker zugeschnittene Audio-CDs zu
brutzeln, die uns in einer recht nahen, herrlichen Zukunft
ermöglichen würden, endlich wieder dem eigenen Musikgeschmack mit
Hingabe zu folgen. Ich befragte also sowohl unseren Santiano-Jünger
als auch seinen schwesterlichen Papagei nach ihren Musikwünschen und
erstellte aufgrund des Gehörten eine Liste von Musikstücken, die
ich dann natürlich auch gewissenhaft in das runde Gemisch aus
Polycarbonat und Aluminiumbeschichtung gravierte. Was für mich nur
einige wenige Klicks auf dem Computer waren, machte mich in den Augen
meines Nachwuchses zum gottgleichen Magier der Töne!
Ich
unterwies meine beiden Jünger in den Gebrauch ihrer Radiogeräte und
war nicht wenig erstaunt, als ich erkennen musste, dass beide bereits
genauestens Bescheid wussten über Eject-Taste, CD-Funktion und
Equalizer. Sie rissen mir ihre neuen Silberscheiben aus der Hand,
warfen mich aus ihren Zimmern und wandten sich ihrem neuen Spielzeug
zu. Nur wenige Augenblicke später ertönte aus dem Zimmer meines
Sohnes ein Potpourri der größten Erfolge Santianos, während aus
dem Zimmer meiner Tochter statt dieses schnöden Gedudels sofort
Adeles unverwechselbare Stimme sanft durch den Äther schwang,
gefolgt von AC/DC und den Rolling Stones...
Ich überließ
unsere Kinder ihren Hörgenüssen und begab mich ins elterliche
Wohnzimmer, um einige der dringenderen Facebook-Posts hingebungsvoll
zu würdigen, während lieb Frauchen sich konzentriert diverser
Handarbeiten hingab. Es war eine Zeit des Friedens!
Ich blickte
gerade durch das Fenster in einen herrlichen, blauen Himmel, als es
urplötzlich und irrsinnig laut donnerte! Gleich darauf erschütterte
ein erstaunlich rhythmisches Erdbeben unser kleines Häuschen bis in
die Grundfesten! Unsere Katze verließ panisch ihren Kratzbaum und
trat die Flucht Richtung Balkon an, meine Frau sprang mit entsetztem
Gesicht von ihrer Handarbeit auf und ich selbst biss vor Schreck in
die Tastatur. Als anerkanntes Familienoberhaupt und traditioneller
Beschützer der Familie war es natürlich meine erste und dringendste
Aufgabe, unser Augäpfelchen aus der Naturkatastrophe zu retten, die
da so urplötzlich und aus im Sinne des Wortes heiteren Himmel über
uns hereingebrochen war. So stürzte ich mit schreckgeweiteten Augen,
einer Überdosis Adrenalin im Blut und einer Taschenlampe in der Hand
zu den Kinderzimmern, zur heroischen Rettung von Sohn und Tochter!
Auf dem Weg dorthin erfasste mich ein weiteres seltsam gleichmäßiges
Erdbeben, das die Türen in ihren Angeln erzittern ließ. Offenbar
näherte ich mich dem Epizentrum der Erschütterungen. Mit Mühe
drückte ich die Tür des töchterlichen Verwahrgelasses auf und
erkannte mit Erstaunen, dass Prinzessin Ichauch mit verzücktem
Gesicht vor dem zitternden und dröhnenden CD-Player stand und dem
infernalischem Lärm von „Highway to hell“ andächtig lauschte.
Die Haare wehten wild auf dem Kopf hin und her, die Augen glänzten,
der Mund grinste über sämtliche Backen! Mit einem Aufschrei stürzte
ich mich auf den Lautstärkeregler und kurbelte ihn mit aller Kraft
zum Nullpunkt. Meine Tochter erwachte aus der Hörstarre und schaute
mich mit finsterem Blick an. Ich zog den Stecker der Höllenmaschine
und bedeutete meiner Irren, sich nicht einen Millimeter zu bewegen,
während ich mich in dumpfer Vorahnung dem Kern des heftigen
Gewitters näherte, das ein Stockwerk höher zu toben schien. Die Tür
zur Höhle unseres Sohnes erzitterte in ihren Angeln, als der nächste
Donner vehement durch das Haus rollte. Ich öffnete und entdeckte
meinen Sohn mit glänzenden Augen und breitem Lächeln auf dem
Gesicht mitten im Raum: „SAN TI-AAAAAA-NO!“
Sein Radiogerät
erlitt das gleiche Schicksal wie das seiner Schwester: Ich zog den
Stecker! Stille breitete sich aus, meine Ohren entrollten sich
wieder, die Welt erhielt wieder Einzug in unser Panoptikum. Im Flur
versammelte ich unseren Nachwuchs und hielt ihm einen flammenden
Vortrag über Lautstärkeregler, Trommelfell-Verletzungen und früher
Schwerhörigkeit. Ich würzte meinen Vortrag mit Beschwerden der
Nachbarn sowie der Einwohner der Häuser zwei Straßen weiter,
dekorierte meine Ausführungen mit möglichen Schäden an der
Bausubstanz des Hauses infolge fortwährender Vibrationen und schloss
mit dem feierlichen Versprechen, beide Radios umgehend in den
Verwertungskreislauf zu geben, sollte sich eine solch infernalische
Lärmentfaltung noch einmal auch nur andeutungsweise wiederholen!
Alsdann führte ich meine beiden sichtlich beeindruckten Kinder
wieder in ihre Zimmer und zeigte jedem, bis wohin genau der
Lautstärkeregler gedreht werden dürfe. Prinz Santiano war sofort
einverstanden und schob mich aus dem Zimmer, um das unterbrochene
Konzert wieder aufzunehmen. Ich vermerkte durchaus positiv, dass die
Lärmentwicklung in seinem Zimmer sich nunmehr auf einem annehmbaren
Niveau befand. Töchterchen hingegen grinste mich freundlich an,
schrie „JA, PAPA!“ und schob mich ebenfalls aus dem Zimmer. Nur
wenige Sekunden später verkündete Adele der gesamten Stadt, dass
ein Gerücht über ihren Partner umginge. Fenster und Türen
erzitterten in der Verkündigung dieser Neuigkeit, während ich mit
angelegten Ohren ihr Zimmer enterte und zum zweiten Mal den Stecker
zog! „Och, Papa!!“ war ihre Reaktion. Und
zum zweiten Mal hielt ich meinen Monolog über die Gefahren des Lärms
und dann gleich noch einen über die schrecklichen Folgen von
Ungehorsam. Das Radio dudelte leise und angenehm vor sich hin,
als ich meine gebügelte und gefaltete Tochter verließ. Die Tür
blieb offen.
Während sich mein lieb Frauchen und ich wieder den
routinemäßigen Aufgaben des Alltags widmeten, gewöhnten sich DJ
Santiano und Missie Adele an den verminderten Schallsturm in ihren
Zimmern und genossen letztendlich doch noch das neue Wunder der Musik
aus der Konserve.
Die CDs sind nun bummelig drei Tage alt, und
noch immer verschwinden unsere beiden Nachwuchsmusiker mit Vorliebe
in ihren Zimmern, um sich gegenseitig ihre CDs vorzuspielen und
inbrünstig mitzusingen. Was bei englischen Texten noch ein wenig
holprig klingen mag. Aber bei den deutschen Liedern singen sie
allmählich die Profis an die Wand!
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