Wir
sind große, mächtige Zauberer! Doch, ehrlich!
Das
gute Wetter der letzten Zeit hat an unseren Kindern deutliche Spuren
hinterlassen. Jung Sonnenkönig hat sich seinen ersten, kleinen
Sonnenbrand auf den Armen geholt, Prinzessin Wirbelwind hat je Bein
rund ein Dutzend blaue Flecken. Dazu kommen noch bei beiden
zahlreiche Hautabschürfungen, Kratzer und ähnliche Beschädigungen
der Oberhaut.
Oh, ich höre schon den Aufschrei der ewigen
Weltverbesserer: „Da muss man doch besser aufpassen! Das geht doch
nicht! Die armen Kinder! Aufsichtspflicht! Aufsichtspflicht!“
Doch, geht. Stürze, Salti und Asphaltakne gehören schlicht dazu, wenn Kind seine eigenen Erfahrungen machen soll. Aber natürlich sind der Eltern stützende schnell da, wenn der Sturz zu tief zu werden droht. Aber in Watte werden wir unsere Zwerge sicher nicht packen. Das ist nämlich auch nicht gut für die Kinder. Dieses dazu.
Und mal abgesehen vom moralischen Standpunkt der Erziehung: Kratzer und Abschürfungen machen aus uns Eltern in den Augen der Kinder großartige, mächtige Zauberer!
Mit
schmerzverzerrtem, tränenverhangenen Gesicht kam Sohnemann heulend
von seinen Kletterversuchen am Apfelbaum im heimischen Garten zurück.
Am Kinn, knapp neben dem linken Ohr, erblickte mein medizinisch
geschultes Auge eine gar schröckliche Schürfwunde! Die Entdeckung
der Hautschädigung wurde durch unablässiges, deutliches Zeigen
seitens meines gemarterten Sohnes sehr erleichtert, sodass ich mich
unverzüglich an meine heilende Aufgabe machen konnte. Das Opf... Der
Patient wurde zunächst zum Unfallhergang befragt: „Der blöde Baum
hat mich abgerutscht!“ war die Antwort. Aha.
Ich
beglückwünschte meinen Sohn zu dem Mut, einen viel zu hohen
Apfelbaum im Alleingang ohne Sicherungsseil und Sauerstoffgerät
erklimmen zu wollen, wies aber zugleich darauf hin, dass er zumindest
hinsichtlich seiner Körpergröße wohl noch nicht alle Anforderungen
für diese Expedition erfülle. Damit hatte ich Jung Reinhold erst
mal vom Schmerz am Kinn abgelenkt, denn er erwiderte bestürzt: „Aber
ich bin doch schon ganz schön groß!“ Ich murmelte etwas bedingt
zustimmendes und geleitete den Hobby-Alois-Trenker ins kombinierte
Bade- und Krankenzimmer. Dort inspizierte ich mit wichtiger
Kennermiene die Wunde, während mein Sohn jede meiner Bewegungen und
Bemerkungen argwöhnisch beobachtete. Wahrscheinlich hatte er Sorge,
ich würde sofort amputieren. Das hatte ich natürlich nicht vor. Die
Säge war noch beim Schleifer.
„Oh,
da hast du dir aber einen heftigen Kratzer geholt.“ Stolz schwoll
Sohnes Brust. „Na, das kriegen wir wieder hin!“ Mit diesen Worten
beendete ich die Diagnose und trat in die Phase der Therapie ein. Der
Kratzer wurde unter einer Schicht Wundheilsalbe begraben, während
ich fremdländische Worte murmelte und Sohnemann erklärte: „Das
ist Zaubersalbe.Damit wird das Kinn ganz schnell wieder heil.“
„Jaaa!“ kam die Antwort, „und dann brauche ich noch ein
Pflaster, ein blaues!“ Blau ist seine derzeitige Lieblingsfarbe.
Natürlich bepflasterte ich den Kratzer mit einem großen, blauen
Pflaster, murmelte noch ein paar dunkle Beschwörungen und
verkündete: „Morgen früh kann das Pflaster wieder ab und du in
den Kindergarten!“ Leise Enttäuschung machte sich auf dem kleinen
Gesicht breit. „Aber morgen, da blute ich bestimmt!“ Nun, wir
werden sehen.
Am
nächsten Morgen weigerte sich unser Kletterheld standhaft, das große
blaue Pflaster vom Kinn zu reißen, weil er „nämlich bestimmt noch
ganz schlimm blutet!“ Ich schrecklicher Mensch blieb stur und
zupfte mit einer schnellen Bewegung das Pflaster ab und hielt mir
sofort die Ohren zu. Meister Thronfolger verlieh seinem Unmut
ausgesprochen lautstarken Ausdruck. Mit ernster Miene untersuchte ich
sein Kinn und zeigte ihm im Spiegel, wie wenig von seinem
schrecklichen, blutigen Kratzer übrig geblieben war. „Das war die
Zaubersalbe!“ sagte ich. „Die hat dafür gesorgt, dass dir neue
Haut wächst.“ Söhnchens Augen wurden groß wie Suppentassen. Was
der Papa alles kann! Ganz neue Haut! Über Nacht! Das war dann doch
erstaunlich. In seinen Augen war deutlich abzulesen, welche
Geschichte er gleich im Kindergarten erzählen konnte. Aber
dasTüpfelchen auf dem „i“ fehlte noch: „Aber, aber... dann
brauche ich jetzt ein Pflaster, damit die Haut nicht gleich kaputt
geht! Ein blaues!“ Nun, gegen so viel Logik konnte ich natürlich
nichts ausrichten, und Sohnemann ging mit stolzgeschwellter Brust,
einem riesigen, knallblauen Pflaster am Kinn und einer irrsinnig
tollen Geschichten über seinen Papa mit der Zaubersalbe in den
Kindergarten.
Sohnemann
und Klein Töchterlein befinden sich alterstechnisch noch einige
Zentimeter unterhalb der Einschulungsmarke. Da funktioniert der Trick
noch. Nur noch ein paar viel zu wenige Jahre, und unsere Kinder
werden uns bei so einer Geschichte anschauen und uns fragen, ob wir
noch alle Tassen im Schrank haben.
Ja,
haben wir! Alle bunt, kaputt und gemischt!
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