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Aufräumarbeiten



Ordnung ist das halbe Leben, sagt ein Sprichwort. Wenn es danach geht, genießt unsere Tochter ihr Leben zur Gänze!
Sohnemann hat schon sehr früh damit angefangen, seinem Leben eine gewisse Ordnung zu geben. Sie unterscheidet sich zwar grundsätzlich vom elterlichen Ordnungsbegriff, aber immerhin steht seine gesamte Spielzeugautosammlung wohlgeordnet in Reih' und Glied im Weg. Heute nach Größe sortiert, morgen nach Farbe, übermorgen nach vermuteter Höchstgeschwindigkeit. Da kann dann ein toller knallroter Tieflader auch mal wesentlich schneller sein, als ein langweiliger grüner Lamborghini. Nun, die Buchstaben sind da, die Worte auch, aber um den Begriff zu verstehen, braucht es noch ein wenig Übung.
Der Ordnungsbegriff unserer Tochter hingegen befindet sich in einem völlig anderen Wörterbuch, vermutlich ein Fremdwörterbuch.

Das eigene Zimmer aufzuräumen ist wohl für jedes Kind eine mehr oder weniger große Herausforderung, denn irgendwie scheinen die Eltern immer eine andere Vorstellung zu haben, wie ein ordentlich aufgeräumtes Zimmer auszusehen hat. Um unseren Kindern die Herausforderung ein wenig kleiner zu gestalten, räumen wir (noch!) gemeinsam mit Junior und Juniorette die Kinderzimmer auf. Frauchen und ich losen dann immer aus, wer mit Sohnemann aufräumen darf und wer die Schaufel holt, um Töchterchens Zimmer zu entrümpeln. Irgendwie verliere immer ich...
Also stand ich mal wieder in einem schier unüberblick und -sehbaren Tohuwabohu aus Puppen, Plüschtieren, unzähligen Taschen, Beuteln und Kartons, etwa zwei bis drei Erdbevölkerungen aus Einhörnern jeglicher Größe und einer Jahresproduktion Decken und Kissen und erklärte meiner Prinzessin zum gefühlten siebenunddreißigsten Mal, wie man aufräumt. Stück für Stück nahm Prinzessin in die Hand, fragte mich „Wohin?“ und ließ sich von mir zu Schrank, Schublade und Müllcontainer lotsen. Das dauerte zwar ewig, war aber letztendlich von Erfolg gekrönt. Man konnte den Fußboden wieder sehen, das Bett war in der Lage, eine todmüde Einhornzüchterin aufzunehmen und sogar das Fenster war wieder zu erkennen. Vielleicht sollte man die eine oder andere Schranktür oder Schublade nur unter großen Sicherheitsvorkehrungen öffnen, aber prinzipiell war das Zimmer aufgeräumt. Und auch, wenn unsere Ordnungsheldin fürchterlich müde war, war sie doch sehr glücklich, denn das Umschichten ihrer mannigfaltigen Habe förderte einige verloren geglaubte Schätze wie Muscheln, völlig gewöhnliche Steine, kunstvoll zerrupfte Taschentücher und etwa eine halbe Millionen Legosteine zutage. 
Ich gebe ehrlich zu, dass ich ein wenig erstaunt war, als ich am nächsten Morgen entdecken durfte, dass die „Neue Ordnung“ im Zimmer von Fräulein "Das brauch ich noch" noch immer anhielt. Normalerweise ist es eine Sache von Minuten, bis das Chaos die nächste wilde Party in ihrem Zimmer veranstaltet. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Andererseits war unser Liebling des Chaos ja auch noch nicht aufgestanden...
Wie dem auch sei, der Tag nahm seinen ganz typischen Verlauf mit Waschen, Anziehen, Frühstücken und derlei frühen Ritualen, wie an jedem anderen Tag auch. Während ich mich danach an den Computer zurückzog, um die Veränderungen der sozialen Netzwerke in den letzten 24 Stunden gewissenhaft zu prüfen, vertrieb sich lieb Frauchen die Zeit irgendwo zwischen Küche, Waschtrommel und Staubsauger. Die Kinder beschäftigten sich mit sich selbst, und es war eine Freude, ihrem Spiel zuzuschauen. Sohn und Tochter mutierten zu Architekten und bauten mit unzähligen Kissen und Decken, ein paar Stühlen und jeder Menge Motivation eine riesige Höhle in das Wohnzimmer. Während sich Sohnemann als Konstrukteur und Planer hervor tat, schleppte Klein Erna eine Decke nach der zweiten heran, sammelte im ganzen Haus Kissen zwecks Bodenbelag zusammen und stopfte ganze Wagenladungen Kuscheltiere in die halbfertige Höhle. Kaum war die letzte Decke verbaut und der Konstrukteur im Dickicht der Kissen und Kuscheltiere verschwunden, trieb Madame sämtliche Einhörner aus ihrem Gehege ins Wohnzimmer vor die Höhle und verkündete die Regel für das folgende Spiel: „Ich bin die Mama, die Einhörner der Papa und du bist das Kind!“ Ich war ein wenig überrascht, dass Meister Oberkonstrukteur das mit sich machen ließ, erkannte aber bald seine Beweggründe: Er ließ sich von vorne bis hinten bedienen. Nicht nur schleppte die selbsternannte Mutter Essen und Trinken herbei, auf dass es dem Sohne wohl ergehe, sie brachte ihm auch noch eimerweise Spielzeug. So beschäftigten sich Prinz und Prinzessin stundenlang, über den Mittag hinweg bis zum Abend.
Traditionellerweise wird das über den Tag benutzte Spielzeug am Abend gewissenhaft aufgeräumt, bevor es ins Bett geht. Und traditionellerweise lamentiert Meister „Och Mann!“, dass seine Schwester ihm schon wieder nicht helfen will. Und ebenso traditionellerweise wird Madame „Ich kann das nicht!“ mehr oder weniger deutlich auf die Folgen ihres Ungehorsams aufmerksam gemacht, bis sie endlich den schweren Gang antritt und Stück für Stück den Berg an Spielzeug und Baumaterial abträgt. So dauerte es auch an diesem Abend eine ganze Weile, bis sich gnä' Frau endlich ans Werk machte. Was ihre Eltern nur wunderte, war, wie schnell das plötzlich ging! Mit beiden Armen krallte sich unsere Tochter alles, was sich nicht rechtzeitig retten konnte, und rannte aus dem Wohnzimmer. Nur Sekunden später tauchte sie mit leeren Händen wieder auf, schaufelte sich die nächste Fuhre auf die Arme und rannte davon. Vater und Mutter betrachteten andächtig das Wunder vom schmelzenden Berg und ahnten fürchterliches.
Nach nur einem Dutzend Runden durch das Haus verkündete Fräulein Schwerlastbagger freudestrahlend: „Aufgeräumt!“ Nun, die Höhle, das Spielzeug und das ganze andere Gerümpel waren tatsächlich aus dem Wohnzimmer verschwunden. Soweit hatte sie also durchaus Recht. Mit dunklen Vorahnungen schritten Mutter und Vater durch das Haus, sammelten unterwegs verlorene Kissen, Kuscheltiere und Einhörner wieder ein und betrachteten andächtig das töchterliche Kinderzimmer. Vor uns strahlte unsere Tochter über alle vier Backen, hinter uns lachte sich unser Sohn schlapp.
Ein wahrhaft riesiger Berg türmte sich zwischen Kommode und Schrank empor, bedeckte den Fußboden zur Gänze und bedrohte das Bett mit dem kuscheligen Äquivalent eines Erdrutsches. Das Chaos war zu seiner besten Freundin zurückgekehrt.
Manchmal komme ich mir vor wie Sisyphos, und der Ordnungssinn meiner Tochter ist mein Fels, den ich bis in alle Ewigkeit den Berg hinauf schleppe...

Kommentare

  1. Wieder super geschrieben und kommt mir alles so bekannt vor. Immer wenn ich hier mitlese, hab ich ein breites Grinsen im Gesicht :))
    Ich hab damals meiner Mutter übrigens auf den Spruch mit Ordnung und halbes Leben mal als Antwort gegeben, das ich in der anderen Hälfte lebe.
    Von meinem Sohn bekomm ich zu hören, das die Fluchtwege zur Tür und zum Fenster ja frei seien - also von daher ......
    LG aus WHV :)

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    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar und die lobenden Worte!
      Die andere Hälfte und Fluchtwege, das sind Stichworte, die ich mir notieren sollte. Dann sind sie mir nicht mehr neu, wenn Lady Chaos sie mir an den Kopf wirft... ;-)

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