Direkt zum Hauptbereich

Eine tierische Hilfe

Normalerweise gehe ich ja eher schöngeistigen Freizeitvergnügungen nach. Ich lese das eine oder andere Buch, höre gern und reichlich Musik oder beschäftige mich mit der Antwort auf die Frage nach dem Universum, dem Leben und dem ganzen Rest.
Ab und an aber beschäftige ich mich auch rein körperlich, und dann findet mich der überraschte Beobachter durchaus auch mal im Garten, angekleidet in eher schnöder, funktionaler und hier und da mehr oder weniger heftig verunreinigter Garderobe, in den Händen Beispiele aus asiatischer Gartenwerkzeugproduktion.
So auch an diesem denkwürdigen, spärlich sonnigen Tag, als der Herbst sich anschickte, langsam aber sicher das Land zu erobern. Das berufliche Tagwerk war getan, der Arbeitgeber lag vermutlich längst in der karibischen Sonne seines persönlichen Wochenendes, da kam meine liebe Ehefrau auf den Gedanken, noch vor den unvermeidlichen Herbststürmen jenen doch reichlich hoch gewachsenen Baum am Rande unseres Parks auf ein Maß zu kürzen, das es wie auch immer gearteten Stürmen unmöglich machen würde, auf irgendwelche von verschwitzten Händen mühselig geschaffene Bauwerke zu fallen.

Am Ende unseres parkgleichen Gartens wächst nämlich eine Salix matsudana 'Tortuosa', eine Korkenzieherweide, die ja, wie wir alle wissen, eine besondere Kulturform der Chinesischen Weide aus der Gattung der Weiden darstellt. So ein zartes Bäumchen erreicht gerne mal himmlische Höhen von acht Metern, von denen das unsrige Exemplar schon beinahe fünf erklommen hatte. Allerdings sind Äste und Stamm des holzigen Gewächses eher flexibel, weshalb das ganze Gebilde schon bei leichtem Winde lustig hin und her wackelt. Ebendieses wackelige Verhalten bewog meine liebste Frau von allen dazu, mich mit dem fachgerechten Einkürzen unserer Korkenzieherweide zu beauftragen.
Ich glaube, ich habe bereits darauf hingewiesen, dass ich mich eher der schöngeistigen Beschäftigung hingezogen fühle. Aber was macht man nicht alles zum Wohlgefallen derer, die man so heftig liebt.
Gekleidet in mannhafte Gartenarbeitsklamotten kramte ich also alles zusammen, was ich für meine vertikalen Holzpflegearbeiten so brauchen würde. Ich entwirrte die Kabeltrommel, um einigen Watt Strom den Weg zum Baum zu ermöglichen, klappte eine Leiter aus, die mich in ungefähre Reichweite der Stelle bringen sollte, an der ich den chirurgischen Baumschnitt anzubringen gedachte, setzte Helm und Schutzbrille auf, legte Telefon, Notfallrufnummer, mehrere Meter Verbandsmull, Schere, Nadel und Faden und einen Eimer heißen Wassers bereit, und zog mir die schweren Lederhandschuhe an. Der aufmerksame Leser wird bereits bemerkt haben, dass etwas Essentielles noch fehlte. Richtig! Eine Motorsäge befand sich nicht in meinem Fundus. Außerdem fehlte es noch an geeignetem Unterstützungspersonal, das bereit wäre, dem abgesägten Baum beim Fall in die richtige Richtung zu helfen, und nebenbei auch noch bereitstünde, sollte sich der ambitionierte Säger unverhofft in eine medizinische Notlage begeben. Aber wozu ist man denn verheiratet? Lieb Frauchen ergriff wieselflink die Initiative, und schon wenige Minuten später materialisierte sich in meinen Händen eine elektrische Kettensäge, einige Dutzend Meter kräftigen Seiles und (vor meinen Händen, dies sei betont) die adrette Nachbarin in praktischer Gewandung und Begleitung eines beachtlich großen, schwarzen Hundes, um beim Baumschnitt mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Im Unterschied zu mir hat sie solches Forsttreiben schon mal beobachtet. Es konnte also losgehen. Die Leiter wurde passend aufgestellt, das Seil fachgerecht um den zu fällenden Teil des Baumes geflochten und geknotet und die Schnitthöhe zwischen „Genau hier!“ und „Meinst du so etwa hier?“ festgelegt. Ein kurze aber intensive Betrachtung des elektrischen Holzschnitters brachte einige Vermutungen hinsichtlich des Einschaltvorganges zutage, von denen der sechste und letzte dann auch tatsächlich der richtige war. Mit lustigen Gekreische erwachte die Motorsäge zum Leben, um sogleich zu verstummen, als ich die Säge am Baume ansetzte. Da fehlten dann doch einige Meter Strom.
Also nochmal: Kabel herbeiziehen, dann noch einen Meter nur für den Fall, auf die Leiter steigen, Motorsäge in Betrieb nehmen und Richtung Baumstamm schwanken. Säge ansetzen, und schon hatte ich meine erste Gravur im Baumstamm verewigt. Von meinem Anfangserfolg ermutigt, wies ich die in den Seilen hängende weibliche Helferschaft an, kräftig zu ziehen, während ich ebenso unermüdlich wie unerbittlich der kreischenden Säge scharfes Blatt durch den Stamm trieb.
Schon wenige Augenblicke später fielen gut zweieinhalb Meter Korkenzieherweide mit Getöse und Schwung zu Boden. Stolz erfüllte meine breite Brust und ich begann zu singen:

„Ich bin Holzfäller, und mir geht’s gut! Am Tag packt mich die Arbeitswut!“

Bevor ich meine musikalische Darbietung zu Ende bringen konnte, wurde ich von der holden Stimme meiner Ehefrau beinahe rüde unterbrochen: „Und was ist mit dem zweiten Stamm?“
Also, wieder frisch ans Werk. Es würde schnell gehen, denn inzwischen hatte ich ja einige Erfahrung mit der Motorsäge gesammelt. Wieder wurde das Tau um den Stamm geschwungen, geknotet und gezurrt, wieder wurde die genaue Schnitthöhe zwischen „Irgendwo da!“ und „Ja, so ungefähr!“ bestimmt und wieder wurde das schrille Schneidwerk begonnen.
Bevor ich jetzt mit der Schilderung der weiteren Ereignisse fortfahre, gestatte mir der Leser einige Worte zu oben viel zu kurz erwähntem großen, schwarzen Hund.

Der Hund, der tatsächlich eine Hündin ist und deswegen im Weiteren auch als „sie“ bezeichnet werden kann, gehört zur italienischen Rasse Cane Corso. Die weiblichen Vertreterinnen des Cane Corso (häufig auch „italienische Dogge“ genannt) werden ungefähr 60 bis 65 Zentimeter hoch, haben einen kräftigen, deutlich längeren als hohen Körper und einen geradezu riesigen Kopf. Cane Corso sind, trotz oder vielleicht auch gerade wegen ihrer kolossalen Kraft, anschmiegsame, verspielte und kinderliebe Wesen, die insbesondere in Italien als Familien-, Schutz- oder Hütehunde beliebt sind. Nähere Informationen zu dieser bemerkenswerten und ausgesprochen liebenswerten Rasse, sofern oben angeführte „sie“ als Muster gelten kann, siehe hier:

Zurück zum Thema. Die elektrische Säge fraß sich in den zweiten Stamm, unten zogen lieb Frauchen und die nette Nachbarin aus Leibeskräften am Tau, auf dass der Baum mir nicht in den ungeschützten Schoß falle. Allerdings wehrte sich der Baum dieses Mal nach Kräften und stemmte sich gegen jeden Zug von vorne unten und klemmte solcherart immer wieder die Kettensäge ein. Was in der Folge dazu führte, dass a) meine spärliche Gesamtkörpermuskulatur Schwerstarbeit zu verrichten hatte, damit Säge, Bediener, Baum und Leiter an den ihnen bestimmten Orten verblieben, und b) ich meine Helferlein ein ums andere Mal zuschrie: „Zieht! Zieht, Herrgott nochmal!“ Und sie zogen.
Aufgrund unser aller titanischer Anstrengungen mussten wir immer wieder kleine Pausen einlegen, um die Säge zu befreien, der Leiter zu besserem Stand zu verhelfen und einfach mal hingebungsvoll zu fluchen. Und dann ging es weiter. Die Mädels warfen sich das Seil über die Schulter und zogen, als seien sie Teil jener kräftigen Männerschar, die einst die schweren Lastkähne die Wolga hinaufzogen. Und ich sägte um mein Leben. Mit einem Mal, ebenso unerwartet wie unvorbereitet, während ich hochkonzentriert den spärlichen Erfolg der Motorsäge auf dem Weg durch den Baumstamm verfolgte, vernahm ich ein heftiges Krachen und Knirschen, und der Stamm, der eben noch mit Macht auf das Sägeblatt zu drücken drohte, verschwand in Sekundenschnelle aus meinem Sichtbereich. Die Motorsäge sägte plötzlich frische Luft, während ich auf der Leiter spontan einen solistischen Czárdás aufführte, um Gleichgewichtssinn und Gravitation gleichermaßen davon zu überzeugen, dass ich, verdammt nochmal, auf die Leiter gehörte! Von unten hörte ich zwei verblüffte, sehr weibliche Schreckensrufe, begleitet vom Krachen und Knirschen einer in den Rasen geprügelten Rest-Korkenzieherweide und gefolgt von wieherndem Gelächter meiner Helferlein und dem dunklen Bellen eines hoch erfreuten Cane Corso. Ich stand einigermaßen verblüfft ob der letzten, ereignisreichen Sekunden und glücklich, noch kerngesund zu sein, auf der Leiter und versuchte zu begreifen, was da eigentlich gerade passiert sei. Und das war passiert:
Während ich der Motorsäge verzweifelt meinen Willen aufzubrummen versuchte, während lieb Frauchen und Nachbarin gemeinsam ächzend am Tau zogen, nahm sie, die Hündin, meine aufmunternden Worte von oben zum Anlass, selbst tätig zu werden. Sie schnappte nach dem Stück Seil, das ihrem Frauchen lustig hin und her zappelnd über die Schulter hing, und versuchte, sich mit ihrer Beute abzusetzen. Mit anderen Worten: Sie zog! Vierzig Kilo Cane Corso plus insgesamt neunzig Kilo höchst femininer „Masse“ hatte die Korkenzieherweide nichts mehr entgegenzusetzen. Sie gab nach, und das schnell und kompromisslos. Und so kam es, dass ich mich innerhalb weniger Augenblicke aus dem Dschungel verdrehter Äste und Restbelaubung in hellem Tageslicht wiederfand. Leicht verblüfft, ein wenig geschockt, aber sonst gesund an Leib und Leben. Man kann auch mal Glück haben.
Der Rest der Aktion Holzschnitt war beinahe Routine. Ich befreite mich von diversem abgebrochenen Ast- und Zweigwerk und beruhigte die Gravitation dahingehend, dass ich mich wieder auf den Erdboden zurück begab. Mit vereinten Kräften entasteten wir die traurigen Überreste des einst so hoch gewachsenen Baumes und räumten das Kaminholz gewissenhaft beiseite, auf dass es uns wärme in der langen, dunklen Kälte des drohenden Winters.
Natürlich wurde die so hilfreiche Hündin mit allerlei Streicheleinheiten für ihre überraschende und tatkräftige Hilfe entlohnt, ebenso die nette Nachbarin, wobei ich mich bei ihrer Person auf warme, von Herzen kommende Worte des Dankes beschränkte und die Streicheleinheiten aus naheliegenden Gründen meiner lieben Frau zukommen ließ.

Der Cane Corso an sich gilt als arbeitsfreudig, und nach dem eben geschilderten Erlebnis überlegen lieb Frauchen und ich ernsthaft, uns häufiger ihrer vierbeinigen Dienste zu versichern und uns bei der zuweilen kraftraubenden Gartenarbeit helfen zu lassen.
Eigentlich gar keine so schlechte Idee…



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Heilig Abend

Dunkel ist die Nacht,  fast kein Auge wacht. Nur die Hirten auf der Erden  lagern wachend bei den Herden, reden von dem Herrn,  ob er wohl noch fern.  Und ihr Auge weint.  Siehe, da erscheint in den Höhen Licht und Leben. Siehe, tausend Engel schweben von den lichten Höh'n, herrlich anzuseh'n! Und ein Engel spricht: "Fürchtet Euch nur nicht! Siehe, ich verkünd'ge heute allen  Menschen große Freude,  deren werden soll alle Welt noch voll.  Und vergesst es nie,  denkt dran spät und früh: Euch. ihr Sünder, die verloren,  ist der Heiland heut' geboren,  Christen, Euer Herr! Fürchtet Euch nicht mehr!" Dies ist ein altes Volkslied aus Pommern. Die Zeit des Gebens, des Liebens, der netten Worte, der Stille, der besinnlichen Momente. Die Zeit des Träumens, des Wünschens, des Beschenktwerdens, der erfreuten Gesichter. Ich wünsche Euch allen Frohe Weihnachten! 

Heiße Kartoffel im Mund?

Die heiße Kartoffel im Mund sagt man ja den Dänen nach, wenn man ihnen zuhört. Na ja, das ist immerhin eine Abwechslung zum dänischen Nationalgericht Hot Dog. Die Speisekarte ist also eher kurz geraten, ganz im Gegensatz zu den Franzosen, wo zur ewig langen Speisekarte noch der unvergleichliche Klang hinzukommt, wenn der Ober ( garçon) die Speisenfolge vorliest. Das klingt dann wie ein lustvolles Versprechen auf stundenlangen beiderseitigen Hormonaustausch.  Wie bin ich jetzt darauf gekommen? Ach ja, Kartoffeln und Hot Dogs!  Unsere Kinder haben das besondere Vergnügen und die große Chance, zweisprachig aufzuwachsen.  Hier im Haus versuchen die Eltern verzweifelt, ihren Sprößlingen in Deutsch klarzumachen, was wir wollen, im Kindergarten ( børnehave) dagegen lernen sie, die Kindergärtnerinnen auf Dänisch irre zu machen. Und natürlich versuchen wir Eltern unser Bestes, mit dem Dänisch der Kinder mitzuhalten, schon allein, um sie zu verstehen, wenn sie vom børnehave erzählen. Aber auc

KLANGSALAT - Daughter

Daughter - Elena Tonra, Igor Haefeli und Remi Aquilella Da denkt man manchmal, man hört was absolut neues, dann ist es das nicht mal. Nun gut, gemessen an AC/DC oder den Rolling Stones ist das Londoner Trio um Sängerin Elena Tonra, Gitarrist Igor Haefeli und Schlagzeuger Remi Aguilella brandneu, denn Daughter gründete sich gerade mal im Jahre 2010. Ihr erstes, ernstzunehmendes Album If you leave brachte das Trio 2013 heraus, und stellte sich damit in die Fußstapfen anderer Indie-Bands von der Insel wie The XX oder Cocteau Twins.   Vom Debütalbum If you leave möchte ich euch heute Smother vorstellen, der Song, durch den ich vor ein paar Tagen erst auf die Band Daughter aufmerksam geworden bin, und der meiner Ansicht nach der Höhepunkt des Albums ist. Das Album ist gar nicht so übel, auch wenn ihm ein bisschen der Tiefgang und die Professionalität fehlen. Aber es hörenswert und macht neugierig auf das derzeit aktuelle Album Not to disappear . Mal sehen, ob ich d