Haustiere sind doch
was schönes. Man ist selten allein, man hat eine Aufgabe, und
Unterhaltung hat man auch immer. Manchmal ist die Unterhaltung ein
wenig einseitig, wenn einen das Haustier einfach nur anschaut,
während man damit beschäftigt ist, dem bescheuerten Vieh zum
tausendsten Male zu erklären, wozu das Katzenklo da ist, warum man
Zimmerpflanzen nicht verspeisen darf oder wie das mit der
Katzenklappe funktioniert. Manchmal ist das Haustier aber auch
Mittelpunkt einer Darbietung, die vor allem die grinsenden Nachbarn
so schnell nicht vergessen werden.
Unsere Nachbarin (ich schrieb es ja schon in einer anderen Geschichte) betrachtet sich
als Besitzerin eines Hundes von wahrhaft titanischen Ausmaßen. Ob
der Hund das ebenso sieht, ist derzeit nicht bekannt. Wie es für
Caniden üblich ist, stellt der Mensch für den Hund eine ausgesprochen
wichtige Bezugsperson dar, die man nicht einfach so alleine in die
Welt hinauslassen darf, weil es da draußen eben gefährlich ist. Der
handelsübliche Hund wird also immer bei Herrchen oder eben Frauchen
bleiben wollen, um sich wohl zu fühlen und Teil des Rudels zu sein.
Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Hunden, die durchaus ein paar
Stunden allein zuhause verbringen können, aber lieber wären sie
eben bei ihrem Herrchen oder Frauchen. Einige Hunde sind aber
dermaßen versessen darauf, ihre Zeit mit ihrem Menschen zu
verbringen, dass sie selbst fürchterlichste drohende Gefahren
ignorieren, um in die Nähe ihres Menschen zu kommen.
Dieses gesagt,
verwundert es wohl nicht, dass ich eines schönen, sonnigen
Nachmittags, als ich unschuldig vor dem Computer saß, blecherne
Schritte von draußen vernahm. Die Schritte gehörten zu einer
ziemlich verblüfften, leicht verzweifelten Cane Corso Hündin, die
auf dem Dach unseres Carports hin und her lief und nach einem Weg
nach unten suchte.
Ich teilte meine
Entdeckung natürlich umgehend meiner liebsten Frau mit, die auch
sogleich die Erscheinung auf dem Blechdach in Augenschein nahm und
nach sorgfältiger Abwägung die Lage erkannte: „Wahrscheinlich ist
sie durch das Loch im Balkongeländer gekrabbelt.“ Ja, das machte Sinn.
Und sie konstatierte: „Das arme Tier muss da runter!“ Somit war mein
Auftrag wohl klar.
Ich warf mich also
in meine Gartenkluft, schnappte mir die Schlüssel zu unserer kleinen
Scheune und schaute mir die ganze Geschichte mal aus der Nähe an.
Ein weiter Blick in die Runde offenbarte mir eine zunehmend verwirrte
Hündin in den höheren Schichten, meine Frau neugierig am Fenster,
einen Gartentisch, mehrere passende Gartenstühle und weiteres Gerät
und Gerümpel, wie man es in der Peripherie eines einzelstehenden
Wohnhauses eben so findet. Nur das Frauchen zu dem Hund auf dem zum
Glück nicht so heißen Blechdach offenbarte sich mir nicht. So
schritt ich also zunächst allein zu Problemlösung. Es war ja nur
ein Hund. Den würde ich doch wohl noch vom Dach pflücken können!
An der niedrigen
Seite des Carports stand ein Gartentisch, der hinreichend stabil
aussah, sowohl meines, als auch des Hundes Gewicht zu tragen. Ich
stellte mich also auf den Tisch, suchte die Hundedame und lockte sie
zu mir. Sie kam auch, beschnüffelte mich kurz und wanderte weiter
hektisch am tiefen Abgrund entlang. Weitere Lockversuche verliefen
ergebnislos, bis endlich Frauchen von irgendwoher eingetroffen war
und ihr Herzensmädel noch einmal anlockte. Allerdings beschlichen
uns leise Zweifel, ob einer von uns oder wir beide gemeinsam genug
Kraft aufbringen würden, eine verängstigte Hündin von den Ausmaßen
eines kleinen Büffels auf die leichte Schulter zu nehmen. Wir
versuchten daraufhin, Madame Wuff davon zu überzeugen, den Meter
fuffzich hinab auf den Tisch zu springen, was aber am mangelnden Mut
der Canidin grandios scheiterte. Man stelle sich das vor:
Zwei Menschen
unterschiedlichen Geschlechts trommeln mit den Händen auf dem Tisch
herum und intonieren pausenlos: „Hierher! Komm! Nun spring schon!
Hierher! Das schaffst du schon!“
Madame Wuff trabte
hin und wieder her, schaute in die Tiefe, jaulte herzzerreißend und
erhörte uns nicht. In ihrem
pechschwarzen Gesicht war deutlich zu lesen, was sie von unserem
Vorschlag hielt – nämlich nichts.
Frau Nachbarin und
ich erörterten mehrere alternative Pläne, um den Hund wieder sicher
auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Wir wollten ihr eine Leine
anlegen und dann langsam, aber beständig ziehen, bis die Hündin gar
keine andere Wahl mehr hatte, als auf den Tisch zu springen. Wir
verwarfen den Gedanken.
Wir wollten
Leckerchen holen und an die niederen Instinkte appellieren, auf dass
die Dame ihre Furcht vergesse und hungrig zum Futter springe. Wir
hatten keine Leckerchen...
Aber meine beste
Ehefrau hatte welche und stellte sich ihrerseits auf unseren Balkon,
von wo aus sie hingebungsvoll versuchte, Madame Wuff über den kaum
sechzig Zentimeter breiten Abgrund zwischen Carport und Balkon auf sicheren Boden zu locken.
Madame Wuff stellte sich taub.
Wir wollten das nachbarliche Balkongeländer, durch das der verhinderte Dachhase gekommen war, stellenweise abschrauben, um sie durch die so
entstandene Lücke in die Sicherheit der eigenen Wohnung zu locken.
Das klang gut, und wir wollten uns soeben auf den Weg machen, da kam
die Rettung in Gestalt des Nachbarn von gegenüber, den wir sonst eher
selten sahen. Mit weiten Schritten und einem breiten, langen Brett
unterm Arm näherte er sich uns und bot seine Hilfe an. Na, sicher!
Wir benutzten das Brett als Absteige, stellten es auf den Tisch und
lehnten den Rest an das Dach, gerade da, wo die kletterfreudige
Hündin gerade stand. Das nahm selbige natürlich zum Anlass, auf die
entgegengesetzte Seite des Daches zu wechseln. Also Brett abnehmen,
Tisch umstellen, Brett anstellen, locken. Das Vieh wechselte zur
anderen Seite. Und noch einmal; Brett, Tisch, Brett, „komm, Hundi!“
„Wie wäre es,
wenn ihr sie am Halsband greift und, ähm... überredet?“
Das war mal eine Idee!
Inzwischen war die Maid, die gerettet werden sollte, wieder zur
anderen Seite des Daches übergesiedelt. Und zum dritten Mal: Brett
ab, Tisch rum, Brett dran. Dieses Mal musste es klappen, erstens
sowieso und zweitens, weil es in jeder Geschichte immer entweder in
letzer Sekunde oder eben beim dritten Versuch klappen muss. Egal, was
ist! Und so war es dann auch. Kaum war das Brett in der richtigen
Position, versuchte der Hund wieder, aus die andere Seite zu wandern.
Ein beherzter Griff in das Halsgeschirr verhinderte den Abmarsch, und
zu zweit zogen wir das verschreckte Hündchen mit sanfter Gewalt auf
das schräge Brett in die Tiefe. Endlich sah Madame Wuff den Ausweg,
den sie nun schon so lange gesucht hatte, sprang behände auf den
Boden und bellte glücklich und erleichtert die halbe Stadt zusammen.
Zu viert hatten Nachbar, Frauchen, mein geliebtes Eheweib und ich
es geschafft, eine Hündin aus sprichwörtlich höchster Not zu
retten! Und wer bekam die Belohnung? Richtig! Madame Wuff!
Aber
wenigstens hatten wir das Gefühl, moderne Ritter zu sein. Unsere
holde Maid in Not hatte zwar ein Paar Beine zuviel, aber das machte
nichts. Wir fühlten uns trotzdem toll! Hund ab.
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