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Die Wahrheit...

„Kindermund tut Wahrheit kund!“ sagt der Volksmund, und der muss es ja wissen. Ich allerdings inzwischen auch.

Sich mit Kind und Kegel durch die Gesellschaft zu bewegen ist mal gar nicht so einfach, wie es aussieht. Natürlich sollen die Kinder äußerlich schon mal einen guten Eindruck machen, und so werden sie in saubere Klamotten gestopft, die Haare gebürstet und die Gesichter geschrubbt. Aber natürlich sollen die Kinder auch durch eine gute Erziehung glänzen, weshalb Vater und Mutter abwechselnd oder gemeinsam vor dem Nachwuchs stehen und von gutem Benehmen, der Wichtigkeit der Worte „Bitte“ und „Danke“ und über so komplizierte Dinge wie „Rücksichtnahme“ dozieren. Ein bisschen was bleibt über die Jahre ja auch hängen. Bis dahin müssen wir Eltern ab und an aber auch Blut und Wasser schwitzen.
 
Da stehe ich zum Beispiel unschuldig mit Sohnemann in der Schlange vor der Kasse und überschlage im Geiste schon mal die horrende Summe, die zu übereignen ich in wenigen Augenblicken gezwungen sein werde, als mein Blick auf oben angeführten Thronfolger fällt. Er hat sich gerade sehr interessiert umgeschaut, und ich erkenne an gewissen subtilen Hinweisen in seiner Mimik, dass sich in seinem kleinen, klugen Hirn ein Gedanke formt, der an die Oberfläche drängt. Aber noch bevor ich regulierend eingreifen kann, spricht Prinz Lautstark seine Meinung frei aus: „Die Frau ist aber dick!“ Etwa ein halbes Dutzend Umstehende schnappt entsetzt nach Luft, mir selbst fällt alle Farbe aus dem Gesicht. Mein Blick gleitet zur vor uns stehenden Dame, dessen Umfang, offen gesagt, in der Tat nicht so einfach zu übersehen ist, während meine Ohren und Wangen nach anfänglicher Leichenblässe nunmehr rotglühend von der allgemein greifbaren Peinlichkeit beredte Kunde geben. Meinen ersten Instinkt, den Schuldfinger anklagend unserem Aushilfs-Hiob entgegenzustrecken, unterdrücke ich mit Mühe und versuche stammelnd, mich bei der gewichtigen Dame zu entschuldigen. Glücklicherweise gehört sie zu jener Sorte Menschen, die nicht vergessen haben, dass auch sie mal kleine Kinder waren: „Ach, lassen Sie nur. So sind Kinder. Und er hat ja auch ein bisschen Recht.“ Und mit einem Grinsen und Lachen greift sie nach ihren Einkäufen und verlässt den Ort des schändlichen Verbrechens. Prinz Ichsagdochnur kommt natürlich so einfach nicht davon. Nachdem sich die zuschauende Menge wieder ihrem eigenen Treiben zugewandt hatte und ich um etliche Euros ärmer geworden bin, versuche ich ihm, einige Dinge zu erklären: „Sowas sagt man doch nicht!“ „Ja, aber die war doch dick!“ Womit wir mitten im Thema „Rücksichtnahme“ und „nicht immer alles sagen, was man denkt“ wären. Einem Erstklässler so komplexe Themen beizubringen, braucht dann doch ein wenig Zeit. Aber ich glaube, die eine oder andere Argumentation ist bei ihm schon hängen geblieben Solche Argumente wie „Wenn du nochmal so frech bist, gibt es eine Woche Computerverbot!“ . Denn inzwischen neigt er dazu, uns die Dinge, die ihm an anderen Menschen auffallen, ins Ohr zu flüstern. Nur an der Lautstärke müssen wir noch arbeiten.

Wer nun glaubt, dass nur Leute außerhalb der familiären Bande Ziel solch ungebremster Wahrheiten sind, muss sich eines anderen belehren lassen.
 
Sogar einem fleißigen Bienchen wie mir ist es ab und an vergönnt, einige Tage meinem ansonsten so geliebten Arbeitsplatz fern zu bleiben und mich meinen häuslichen Pflichten und meiner Familie zu widmen. In dieser Reihenfolge. Tatsächlich ereilte mich jenes glückliche Schicksal unter anderem letzten Dienstag, als die Sonne warm schien und die ganze Stadt vor der Tür zu finden war. Außer mir natürlich, denn ich hatte Küchendienst. So wirbelte ich mit Wischlappen, Geschirrtuch und einem Liedchen auf den Lippen durch mein kleines, sehr persönliches Paradies und versetzte Herd, Arbeitsfläche und Spüle wieder in einen glänzenden Zustand, als ich bemerkte, dass der Mülleimer die Grenze seines Fassungsvermögens schon vorgestern erreicht hatte. Es ist für uns als Eltern selbstverständlich, dass auch die Kinder ihren Anteil an der Hausarbeit erledigen, also rief ich nach Prinzessin Immerich und drückte ihr die pralle Mülltüte in die Hand, zusammen mit genauen Anweisungen, was sie damit zu tun hatte: „Bring das doch bitte mal in die Mülltonne mit dem gelben Deckel.“ „Ja. Die braune oder die graue?“ „Gelb, mein Hase, gelb! Das ist die Tonne ganz rechts außen.“ „Ja, also die blaue. Oder?“ „Sag mal, willst du mich veräppeln?“ „Nein?“ „Also bitte, die mit dem gelben Deckel.“ Und als ich Prinzessin Weißichnicht die Mülltüte übergab, passierte das, was einem Mann einige Stunden nach einer herzhaften Mahlzeit gerne mal passiert, und worüber es eigentlich auch keine großen Worte zu verlieren gab, denn immerhin passierte es a) bei geöffneten Fenstern und Türen und b) in der heimischen Küche und c) (sehr wichtig!) nicht in einem hermetisch verschlossenen und vollbesetzten Fahrstuhl. Kurz: Ich entließ ein wenig überschüssigen Luftdruck aus den hinteren Bereichen meines Verdauungssystems, und zwar hörbar. Jeder andere Mensch, insbesondere einige Familienmitglieder, die ich kenne, hätten dieses flüchtige Ereignis nicht oder nur ausgesprochen beiläufig zur Kenntnis genommen. Meine über alles geliebte Tochter dagegen stürmte mit wehendem Müllsack aus dem Haus und brüllte quer durch die Straße:
„Papa hat gefurzt! Juhu!“
Die Nachbarn von allen drei Seiten, einige bisher unbescholtene Passanten sowie ein zufällig anwesender Postbüttel grinsten über alle vier Backen, während meine viel zu mitteilungsfreudige Tochter die Mülltüte mit Schwung in die blaue Tonne beförderte, was ich hinwiederum beobachtete und ihr eilends und ein wenig genervt folgte, um die Tüte in die richtige Tonne umzuschichten. Das Grinsen zahlloser Beobachter folgte mir auf dem gesamten Weg aus der Haustüre heraus, über den Hof, zu den Mülltonnen und zurück. Ihr Pharisäer! Als hättet ihr noch nie Darmwinde brüllend in die weite Welt entlassen! Ha!
Auch hier war ein klärender und lehrreicher Vortrag über „Rücksichtnahme“ und „Was man besser nicht hinausposaunt“ dringend angebracht und wurde von mir mit Nachdruck geführt: „Hast du mich verstanden?“ „Ja. Was?“ 
Nun ja, sie ist noch nicht ganz im schulpflichtigen Alter. Da werde ich wohl noch so einige Gespräche führen müssen. Aber bis dahin klemme ich mir die Sitzfläche zu, solange meine Tochter in Hörweite ist!

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