„Aus großer Macht wächst große Verantwortung.“
Das hat Onkel Ben gesagt. Nein, nicht der mit dem Reis, sondern der Onkel von Spiderman. Und wie das so ist mit älteren Herren, sie haben oft sehr recht.
Ich bin ja Mitglied einer Generation, die sich gewissermaßen direkt auf einem technischen Grabenbruch befindet. Als Kinder haben wir alle noch draußen in Feld, Wald und Wiese gespielt, waren für unsere Eltern stundenlang nicht erreichbar und haben im Sommer vormittags das Ferienprogramm von ARD und ZDF geschaut. Und ein bisschen später kamen erst der eigene PC, dann die Handys und so weiter, bis zur heutigen Moderne, in der ich mich via social media, Smartphone, Smart-TV, Tablet und sprechendem Kühlschrank durch die freie Informationswelt des Internets bewege. Und unsere Kinder wachsen bereits ganz selbstverständlich mit Facebook, Twitter und dem ganzen anderen mehr oder weniger sinnreichen Kram auf*.
Am unteren Ende der modernen Leiter stehen nun die Eltern dieser Generation des Grabenbruchs. Unsere Eltern sind noch mit der Schaufel in der einen und der Tageszeitung in der anderen Hand aufgewachsen. Ihr soziales Netzwerk waren die anderen Kinder im Dorf, der Fernseher hatte maximal drei Programme und die Antenne musste nach jedem mittleren Sturm entweder vom Nachbarhof aufgesammelt oder wenigstens neu ausgerichtet werden. Je älter unsere Eltern wurden, desto besser wurde das Fernsehen, zumindest in der Bildqualität, und aus dem Wählscheibentelefon wurden die Tastentelefone. Das schnurlose Festnetz-Telefon war eine richtige Sensation.
Irgendwann ist auch in das Heim meiner Eltern ein PC eingezogen, wurde mit dem allwissenden Internet verbunden und leistete fortan treue Dienste, hauptsächlich als binäre Herberge für das beliebte Solitär-Spielchen und als moderne Schreibmaschine mit Druckfunktion. Mit diesem Computer im Haus ergab sich für den einzigen Sohn der Familie, der schon um einige Äonen früher einen elektrischen Rechenknecht sein Eigen nennen durfte, ein neues Aufgabenfeld. Eigentlich soll uns ja so ein Computer eine Menge Aufgaben abnehmen oder zumindest erleichtern. In der Theorie funktioniert das auch. Die Praxis hat sich den Computer allerdings gewissenhaft angeschaut und bedauernd den Kopf geschüttelt. So einfach geht es nun wirklich nicht. Folgerichtig dauerte es also nicht lang, bis ich mit einigen existenziellen datenverarbeitungstechnischen Problemstellungen konfrontiert wurde:
„Da geht was nicht!“
„Der zeigt so komische Sachen!“
„Wo muss ich den einschalten?“
Solange ich noch zuhause wohnte, waren solche Fragen überhaupt kein Problem, denn ich konnte mich natürlich stehenden Fußes diesen elterlichen Problemen widmen und ihnen zeigen, was man wo klicken und wie verschieben musste, damit der Binär-Bube versteht, was man von ihm will.
Glücklicherweise zeigten sich meine Eltern ebenso lernwillig wie wissbegierig, sodass ich auch kein schlechtes Gewissen haben musste, als ich das elterliche Nest verließ und verzweifelt versuchte, mein eigenes Leben in die ebenso eigenen, vor Nervosität schweißnassen Hände zu nehmen.
Das Leben so ganz auf eigenen Füßen und Verantwortung hatte natürlich seine Vorteile. Die Worte „Räum deinen Saustall endlich mal auf!“ hörte man beispielsweise nur noch, wenn die Eltern unangekündigt vor der Tür standen. Außerdem bestimmte man selber, was auf dem Tisch stand und gegessen wurde.**
Andererseits hatte das Leben weit weg von den Eltern auch mindestens einen entscheidenden Nachteil: Die Hilfe bei elterlichen Computerproblemen wurde extrem schwierig. Ohne den Blick auf den Bildschirm versuchte ich ein ums andere Mal, den kryptischen Beschreibungen meiner Eltern einen Sinn zu entlocken, um das akute, riesige Problem zu lösen:
„Irgendwas ist hier komisch. Der macht irgendwie nicht das, was er soll!“
„Was hast du denn gemacht?“
„Ja, nix!“
Angesichts solcher Fehlerbeschreibungen ist die Problemlösung schon fast ein Lotteriespiel.
„Was steht denn auf deinem Bildschirm?“
„Wie jetzt, auf dem Bildschirm?“
„Na ja, hast du eine Fehlermeldung bekommen? Ging da ein Fenster auf?“
„Ja schon, aber da hab ich „OK“ gedrückt, und dann war es weg.“
„Und was stand da?“
„Ach, Kind, das weiß ich doch jetzt nicht mehr!“
Ein Klassiker…
In vielen Fällen ließ sich das Problem nur noch folgendermaßen lösen:
„Geht bei dir Solitär noch?“
„Ja, zum Glück. Wieso?“
„Pass auf: Ich komm nächstes Wochenende nach Hause und dann kümmere ich mich drum. Übrigens, meine Klamotten müssten auch mal wieder gewaschen werden.“
Mit der Zeit konnten meine Eltern mit ihrem Computer immer besser umgehen, und gemeinsam lernten wir, unsere Versuche, Ferndiagnosen zu stellen und Computerprobleme mit einem Frage-/Antwort-Spiel zu lösen, zu optimieren. Und tatsächlich klappte es immer besser, per Telefon und quasi blind, dem Computer das Drucken beizubringen oder Dateien zu verschieben oder gelöschte Dateien wieder zu retten. Aber es blieb langwierig und manchmal sogar schwierig. Und wenn es gar nicht ging, musste ich meine Eltern auf den nächsten Besuch vertrösten, womit natürlich bei mir wieder der Druck stieg, meine vielfältigen gesellschaftlichen Verpflichtungen dergestalt zu planen, dass ich übers Wochenende genug Zeit für mehrere Stunden Autofahrt, Computerdiagnose und Problemlösung hatte, und meine Wäsche gewaschen, gebügelt und gefaltet wieder mitnehmen konnte.
Immerhin stieg aufgrund meiner Tätigkeit als Aushilfscomputerfachmann meine eigene Erfahrung beim Umgang mit Betriebssystem, Internet und zwischenmenschlicher Kommunikation, was irgendwann darin kulminierte, dass ich es mir zutraute, eine Fernsteuerung für den Elternrechner einzurichten.
Ich installierte also auf meinem Rechner und auf dem meiner Eltern ein kleines Programm, das meinen Rechner mit dem meiner Eltern verbinden sollte. Die Macht der Vernetzung sollte es mir unendlich erleichtern, meinen Eltern bei ihren Computerfehlern zu helfen.
Und tatsächlich! Es funktioniert! Wann immer meine Eltern nun ein Problem mit ihrem Computer haben, rufen sie mich an, und ich löse das Problem, indem ich mich auf ihren Rechner aufschalte und sie Schritt für Schritt zur Lösung führe. Drucker installieren, Dateien aus den Weiten des Internets auf den eigenen Rechner laden, Bilder bearbeiten und so weiter und so fort, alles nur einen Anruf entfernt! Ein wahres Paradies für einen nebenberuflichen PC-Superhelden.
Allerdings tun sich mir nun zwei schwerwiegende Fragen auf:
Habe ich die Büchse der Pandora geöffnet?
Und wann wäscht Mama mir wieder die Wäsche?
*In diesem
Zusammenhang bin ich stolz darauf, dass meine Kinder immer noch mit
einer Handvoll Steine, ein paar Ästen und jeder Menge Fantasie Star Wars
Episode 1 bis 7 nachspielen können.
**Aus dieser Tatsache ziehen eine ganze Reihe verschiedenster Lieferdienste für Fertignahrung ihre Existenzberechtigung!
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