...andere Fahrer. Ich
weiß, wovon ich rede...
Die unfallfreie Teilnahme am allgemeinen
Straßenverkehr ist ja schon vor der eigenen Haustür ein
fortwährendes Abenteuer. Die Herausforderungen, die Senioren mit
Hut, Führerscheinneulinge, testosteronüberfüllte PS-Protze und
dergleichen an uns Otto-Normal-Fahrer stellen, sind ja hierzulande
schon groß genug. Jeder von uns kennt reichlich Beispiele von
Kurzschluss-Überholmanövern, die doppelt soviel Leistung und freie
Strecke wie vorhanden benötigen, kennt Schnecken auf der Autobahn
und Oberlehrer hinter dem Steuer. Was könnten wir alle Geschichten
davon erzählen! Und was sind da nicht schon irrsinnige Geschichten
erzählt worden!
Mir kommt der hiesige Straßenverkehr hingegen
schon beinahe erholsam vor, nachdem ich nun einige Monate weiter im
Süden verbringen durfte. Viel weiter...
Tatsächlich hatte
ich Gelegenheit, den Verkehr zwischen serbischer Bohnensuppe und
Gyros mit allem und scharf aus nächster Nähe mitzuerleben. Das war
nun wirklich ein Erlebnis.
Zunächst mal sind die Straßen dort
im tiefen Süden schon im Aufbau nicht mit jenen vor unserer Haustür
zu vergleichen. Die meisten von ihnen gleichen Schlaglochpisten, sind
eng, unübersichtlich und schon seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr
instandgesetzt worden. Wenn ich es recht bedenke... So groß ist der
Unterschied zu unseren Straßen dann nun doch nicht. Allerdings
stellen sich viele der Verkehrsverbindungen auf dem Balkan eher als
das dar, was man hierzulande als Feldweg oder Pfad bezeichnen würde.
Teerdecken sind nicht überall vorhanden, aber sie breiten sich
mittlerweile unaufhaltsam aus. Die Verwendung von Vorwegweisern,
Gefahrenschildern und ähnlicher, hier zuhause geradezu profaner
Beschilderung ist in weiten Teilen des Balkan ein noch sehr neues
Konzept, sodass allein schon das Finden des richtigen Weges zum
Abenteuer mutieren kann. So passiert es eben schon mal, dass man mit
seinem Fahrzeug zwischen Weißichnicht und Irgendwo steht und mit
Händen und Füßen, gelegentlichem Schreien und ohne passende
Sprachkenntnisse versucht, einem ortsansässigen Kleinbauern eine
Richtungsinformation zu entlocken. Es ist erstaunlich, wie
unglaublich oft man dann trotz aller Sprachbarrieren an sein Ziel
gelangt, ohne sich mehr als, sagen wir mal, eine halbe Tagesreise zu
verfahren.
Sprachbarriere und bedauerlicher Straßenzustand sind
aber nicht die einzigen Dinge, die das Fahren auf dem Balkan zum
Abenteuer werden lassen. In der Regel sind es die anderen
Verkehrsteilnehmer, die für häufig wechselnde Körpertemperaturen,
unkontrollierte Lautäußerungen verschiedenster Art und spontane,
inbrünstige Glaubensbekenntnisse jedweder Richtung sorgen.
Während
sich das Verkehrswegenetz auf dem Balkan beständig weiterentwickelt,
sind große Teile der Bevölkerung den alten Traditionen verhaftet
geblieben. So gibt es neuerdings zwischen Tirana und Pristina eine
moderne Autobahn inklusive bereits jetzt erkennbarer zukünftiger
Upgrades mit Raststätten und Mautanlagen, das Konzept eines solchen
Schnellweges ist aber noch nicht bei jedem Nutzer angekommen. Da
nützen auch die Schilder mit einer grafischen Bedienungsanleitung
nichts, die klugerweise in regelmäßigen Abständen entlang der
Strecke aufgestellt wurden.
Die Autobahn wird konsequent ganz genauso
benutzt, wie jeder andere Weg oder Pfad seit Jahrhunderten auch. Und
so trifft man während der rasenden Autofahrt nicht nur auf andere
Kleinfahrzeuge, Lastwagen und PS-Boliden, sondern auch auf Fußgänger
und Pferdefuhrwerke. Natürlich unbeleuchtet und erheblich langsamer
als der Rest der Verkehrsteilnehmer. Straßen werden dort überquert,
wo es einem gerade passt. Der extra angelegte, gut beleuchete und
deutlich sicherere Fußgängerüberweg nur wenige Meter weiter wird
hingebungsvoll ignoriert.
Autobahn mit Bedienungsanleitung! |
Auch das Konzept der Errichtung einer
Schnellstraße, um einen anderen Ort schnell zu erreichen, ist
einigen Menschen auf dem Balkan noch nicht in den Sinn gekommen. Sie
schleichen mit Geschwindigkeiten knapp über der einer rennenden
Schildkröte über das Asphaltband und interessieren sich nicht die
Bohne für all jene, die sie hupend und schreiend überholen. Wenn
Buddha jemals ein Beispiel für innere Ruhe und Ausgeglichenheit
gesucht hätte, er hätte es auf der Autobahn gefunden!
Überhaupt
sind die fahrbaren Untersätze in jenem Landstrich zwischen Metaxa
und Sliwovitz ein Kapitel für sich. Natürlich sieht man auch hier
die neuesten Produkte der deutschen, italienischen oder französischen
Automobilindustrie. Aber man sieht deutlich mehr Beweise dafür, dass
der alte Krempel von damals heute immer noch funktioniert.
Tatsächlich habe ich noch nie dermaßen viele VW Golf II auf den
Straßen gesehen, wie dort! Und die meisten waren aus mir völlig
unerklärlichen Gründen rot. Die Anzahl der Rostlauben geht ins
Unermessliche. Beinahe jedes durchschnittliche Fahrzeug auf dem
Balkan ist ein Beweis, dass Rost eben doch die verschiedensten Teile
der früheren Autokonstruktion zusammenhalten kann. Und ich schreibe
hier nicht nur von Kleinfahrzeugen! Bei den Lastwagen kommt zu dem
allgegenwärtigen Rost, den unzähligen Beulen und Schrammen auch
noch das beunruhigende Knarren von Blattfedern hinzu. Denn das
zulässige Gesamtgewicht ist häufig nur eine unwichtige Zahl auf
einem unbedeutenden (und wahrscheinlich ohnehin nicht existenten)
Papier. Der normale Lastkraftwagen wird solange beladen, bis kein
Platz mehr ist und die Achsen einen säuberlichen Halbkreis formen.
Solange das fragliche Fahrzeug nicht nagelneu, hundsteuer oder beides
ist, stellt das normale auf dem Balkan genutzte Fahrzeug, gleich,
welcher Klasse, einen Alptraum für jeden TÜV-Prüfer dar.
Und
als wäre dies alles nicht genug, um das Fahren auf dem Balkan zu
einem immerwährenden Abenteuer zu machen, kommt dann noch dazu, dass
auf dem Balkan zwar Verkehrsregeln existieren, sie aber meistens als
gutgemeinte, aber nicht zwingend zu befolgende Ratschläge gelten.
Überholt wird da, wo man genug Geschwindigkeit aufgebaut hat, um am
Vordermann einigermaßen zügig vorbeizuziehen.
Geschwindigkeitsbeschränkungen gelten im Allgemeinen sowieso nur für
solche Fahrzeuge, die ohnehin nicht schneller fahren können,
Kutschen zum Beispiel. Parkverbote sind zwar ganz nett, gelten aber
für alle anderen außer einem selbst. Und Einbahnstraßen sind
Traditionsregelungen und haben absolut nichts mit der aktuellen
Beschilderung zu tun. Recht hat, wer stärker, sturer oder
selbstmordgefährdeter ist.
Eine defensive,
vorausschauende Fahrweise, wie sie von führenden Fahrschulen
hierzulande propagiert wird, ist auf dem Balkan der Garant, in der
Einfahrt stehenzubleiben, bis die Karre auseinanderfällt. Nun, bei
den dortigen Musterbeispielen von Optimistenautos* dauert das wohl
nicht allzu lange.
In diesem
Zusammenhang habe ich immer die Polizisten bewundert und ein wenig
bedauert, die der Anarchie des Straßenverkehrs das Gesetzbuch
unablässig und mit Inbrunst vorhalten. Ein Kampf gegen Windmühlen!
Erstaunlicherweise
habe ich mich schnell an die ortstypischen Gewohnheiten im
Straßenverkehr gewöhnt, und es machte mir sogar Spaß, ein wenig
anarchisch durch die Welt zu fahren. Das führte zwar unweigerlich
dazu, dass ich wegen überhöhter Geschwindigkeit geblitzt wurde,
aber ein Erlebnis war es trotzdem.
Nur die Umgewöhnung an den
durchorganisierten, vorhersehbaren und meistens defensiven Verkehr in
Deutschland fiel mir doch ein bisschen schwerer, als ich mir
vorgestellt hatte. Nachdem meinem geliebten Eheweib zweimal innerhalb
weniger Minuten die Haare zu Berge standen und ihre Farbton im
Gesicht um einige Nuancen heller war als gewöhnlich, erinnerte sie
mich deutlich daran, wo ich war: „SCHATZ! Du bist nicht mehr auf
dem Balkan!“ Tja, da hatte sie wohl recht...
*Optimistenautos fahren mit Sprit, einem gehörigen Maß Hoffnung und
jeder Menge inbrünstige Gebete.
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