Vater sein wird mit
der Zeit auch immer gefährlicher. Man mag es kaum glauben!
In
den Anfangszeiten meiner Vaterschaft konnte ich mich mit meinem Sohn
beschäftigen, und das gefährlichste, was mich erwarten konnte, war
ein unappetitlicher Fleck irgendwo auf dem Hemd. Die Farbe des
Fleckes war dabei ebenso unerheblich wie der Geruch desselben.
Irgendwann später
war die größte Gefahr, über liegen gebliebene Kuscheltiere in
allen Größen und Formen zu stolpern. Das beste daran war, dass
diese Kuschelviecher grundsätzlich weich waren! Ein unbeabsichtigtes
Betreten des ungewöhnlichen Bodenbelags hatte also nichts weiter
zur Folge, als eine Reihe Tanzschritte zur Wiedererlangung kosmischen
Gleichgewichtes, sowie eine Reihe ausgewählter Schimpfworte, die man
maximal in den nicht vorhandenen Bart nuschelte, damit Kleinkind
nicht schon so früh verbal verunreinigt wird.
Mit den Jahren der
Kindererziehung erlernte ich auch gewisse Techniken, unerwartetem
Spielgerät quasi blind auszuweichen. Ich entwickelte ein Gespür
dafür, wo Laufrad, Schaufel und Malstifte meinen Pfad versperrten,
schwebte traumwandlerisch über mehr oder weniger kleine Haufen
Autos, die unvermittelt in Türen, auf Sofas und unter den Tischen
auftauchten, und übersah auch nicht Unmengen an Wäsche, die
seltsamerweise völlig unangekündigt mitten im Badezimmer
materialisierten.
All das kein Problem, keine Gefahr. Mein Sohn
konnte mir in den Weg legen, was immer er wollte, ich überstieg es,
wich dem Hindernis aus oder trampelte ohne jede erkennbare
Gefühlsregung darauf herum. Summa summarum blieb ich vor allem
eines: Unverletzt!
Das hat sich nun
gerade heute geändert!
Der Tag war warm, wir hatten viel Spaß
im Garten, und es gelang mir wie gewohnt, den Gefahren zweier Kinder
routiniert auszuweichen. Irgendwann ist aber auch in unserem Haushalt
die Zeit gekommen, da die Kinder so ganz allmählich Morpheus' Armen
überantwortet werden sollten. Sohnemanns Schlafhöhle liegt nun auf
dem Sonnendeck unserer heimischen Burg. Und weil der Tag sehr sonnig
und warm war, herrschten dort oben geradezu sonnenhohe Temperaturen,
trotz umfangreicher Abschattungs- und Isolierungsmaßnahmen. Bei
dieser Hitze kann man einfach nicht schlafen. Glücklicherweise war
am Abend die Sonne ja schon im Begriff, sich hinter dem Horizont zu
verstecken, weshalb ein wenig Wind aufkam. Diesen Wind gedachte ich
(als treusorgender Familienvater, der ich nun mal bin) mittels
geschickt geöffneter Fensterfluchten zu kanalisieren und zwecks
Abkühlung durch des Thronfolgers Schlafsaal zu lenken. Super Plan!
Er ist im Grunde auch geglückt, hatte aber den Nachteil, dass ich,
der ich aufgrund hoher Umgebungstemperaturen barfuß unterwegs war,
das Territorium meines Sohnes zu durchqueren hatte. Schon der zweite
Schritt auf seinem Terrain endete in einem improvisierten,
einbeinigen Tanz und einem unterdrückten Schrei des Schmerzes. Ich
hatte das Gefühl, auf eine fiese Mine getreten zu sein! Ein scharfer
Schmerz durchzuckte meinen Fuß, unmittelbar, nachdem ein ansonsten
völlig unbeachtet herumliegendes Lego-Konstrukt tiefgehenden und
plötzlichen Kontakt mit ihm gesucht hatte. Mühsam hielt ich meine
Tränen zurück und gab dem Verursacher dieser unsäglichen
Fußschmerzen einen kräftigen Tritt aus meinem Wirkungsbereich! Der
weitere Weg verlief ereignislos, bis ich das Fenster erreichte. Ich
öffnete es weit und verkeilte den Fensterflügel, auf dass mein
Lüftungsplan gelinge. Umdrehen, kurz Richtung Ausgang orientiert,
erster Schritt – AUTSCH! Zum zweiten Mal trampelte ich mit Schwung
auf das nächste Klötzchenbauwerk! Mit dem gleichen, bereits
hinlänglich malträtierten Fuß! Ein weiterer Schwall mühsam
geflüsterter Flüche ergoß sich durch das Kinderzimmer.
Gleichzeitig lernte eine eher grobe Legokonstruktion urplötzlich das
Fliegen sowie die zufallsbasierte Dreipunktlandung.
Der weitere
Weg in die sicheren Gefilde aufgeräumter Räumlichkeiten verlief
unfallfrei, nachdem ich jeden Zentimeter meines Pfades argwöhnisch
nach weiteren Hindernissen abgesucht hatte. Wie es sich für einen
Mann meines Kalibers gehört, verbiss ich mir den höllischen
Schmerz, als ich mich dem Kreise meiner Familie im Erdgeschoss wieder
anschloss.
Kinder ins Bad
treiben, Umkleidungsrituale, umfangreiche Reden zum Thema „Der
saubere Zahn und seine Wirkung auf die Außenwelt“ sowie weitere
Riten zur Erlangung der Bettfähigkeit verliefen ohne Beanstandungen
und wurden unfallfrei beendet. Es wurde Zeit, die Brut ins Bett zu
verfrachten.
Was lieb Töchterlein angeht, gab es keinerlei
Probleme. Ihre Hindernisse befinden sich noch in der Phase „Ach,
wie kuschelig!“ Tochter ins Bett gestopft, Gute-Nacht-Kuss,
Schlafmusik, Ende der Geschichte.
Theoretisch hätte das mit
Sohnemann genauso funktionieren müssen. Aber das Fenster war ja noch
auf!
Während Morpheus' Jünger es sich im Bett gemütlich
machte, wandelte ich auf sicheren Pfaden zum Fenster und schluchzte
nur kurz, als mein Fuß nun zum dritten Mal einen Legoklotz von oben
traf.Mit dem ganzen Gewicht meiner Vaterfigur, inklusive der
Konstanten für die Gravitation, stellte ich mich auf die scharfe,
betonharte Kante des Legosteines. Meine innere Fluchliste wurde
sofort um etliche neue Kreationen verlängert!
Sämtliche Flüche
stellten sich auf meiner Zunge zwecks lautstarker Aussprache an,
wurden aber erfolgreich vom Schutzwall der Lippen am Ausbruch
gehindert.
Mit äußerer Ruhe und Gelassenheit sowie inneren Monologen voll Fluch und Pein schloss ich das Fenster und sperrte das abendliche Licht
aus. Mein Sohn bemerkte, wie ich es beabsichtigt hatte, nichts von
meinen inneren Qualen und Schmerzen. Schlafmusik, Gute-Nacht-Kuss,
Ende der Geschichte.
Oder doch nicht so ganz. Denn als ich mich
sicher fühlte, kurz bevor ich die Hallen der Schmerzes verlassen
sollte, schaute ich noch einmal meinen schlaftrunkenen Sohn in
seinem Bett an - und erlebte prompt ein viertes Mal eine ganz
persönliche Welt pedaler Schmerzen!
Morgen wird dieser
Aushilfsattentäter sein Zimmer aufräumen! Und zwar unter meiner
persönlichen, ständigen Aufsicht! Und danach werde ich jeden
einzelnen Legostein in Schaumstoff packen!
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