Es gibt ja so
Rituale, die gehören einfach zu einem geregelten Tagesablauf, oder
zu einem ordentlichen Familienleben. Das gemeinsame Essen, möglichst
dreimal am Tage, gehört zweifelsohne für jede traditionsbewusste
Familie dazu. Allerdings denke ich darüber nach, mit diesem Ritual
zu brechen. Das muss man sich mal vorstellen…
So weit ich
zurückdenken kann, war das Frühstück für mich immer eine der drei
wichtigsten Mahlzeiten des Tages. Und immer, ausnahmslos, musste das
Frühstück ein möglichst prall gefülltes Glas jener berühmten
Nuss-Nougat-Creme bereithalten, ohne das ein Tag einfach nicht gut
werden konnte. Und auch heute noch tauche ich, wie seit unzähligen
Jahren schon, allmorgendlich die Messerspitze nur einige wenige
Millimeter in die weiche, süße Masse und bestreiche mein Brot mit
einer millimeterdünnen Schicht der Nuss-Nougat-Genussbombe. Böse
Zungen behaupten allerdings, die Schicht sei mindestens elf Meter
dick. Das hat schon mein seliger Opa immer gesagt, aber das ist
natürlich irrsinnig übertrieben. Es sind höchstens acht Meter, na
gut, vielleicht neun. Ab und zu vielleicht auch mal zehn, aber
niemals mehr als elf!
Aber so hoch die
morgendliche Brotscheibe auch bestrichen sein mag, nicht ein
Milligramm der kostbaren Süßigkeit geht an Frühstücksteller,
Finger oder Wangen verloren! Jedes Atom (!) der Genussmasse wird der
hungernden Zunge zugeführt.
Unser Kronprinz hat von seinem Vater gelernt, und nachdem er einige Male mit dem Streichinstrument experimentiert hat, ist er nun auch in der Lage, ungefähr fünfundachtzig Prozent der Nuss-Nougat-Creme zunächst auf dem Brot und im weiteren Verlauf dann im Bauch zu deponieren. Auch der Genuss ist ihm schon deutlich anzusehen, wenn er mit Wonne in das mit mindestens elf Metern durchschnittlich bestrichene Brot beißt. Die noch fehlenden fünfzehn Prozent findet der Erziehungsberechtigte regelmäßig verteilt auf mindestens vier Finger, zwei Wangen und einem Kinn, einschließlich Oberlippenverzierung. Der dicke Klecks, der sich nach jeder Brotscheibenbestreichung auf dem Messer wiederfindet, bleibt nicht lange dort, sondern wird, trotz eindringlicher Ermahnungen, detailreicher Belehrungen, wüster Beschimpfungen oder gnadenloser Androhungen, innerhalb kürzester Zeit von einer hingebungsvollen und äußerst flinken Zunge restlos aufgenommen. Mehr als einmal passierte es uns, dass ein zuvor durch unseren Schokoladenfetischisten benutztes Messer zunächst als unbenutzt deklariert wurde. Erst eine gewissenhafte forensische Untersuchung förderte kaum merkliche Indizien zutage, anhand derer eine Benutzung zumindest vermutet werden konnte. Gründliches Kerlchen, das…!
Seine Schwester ist
ebenfalls, der familiären Tradition väterlicherseits folgend, eine
glühende Anhängerin der streichfähigen Süßware, allerdings in
einer etwas rustikaleren Art und Weise. Wenn Prinzessin
„Dasschmecktmiraber“ das Messer in das Glas taucht, braucht man
hinterher einen leistungsfähigen Metalldetektor, um es in den
abyssalen Tiefen der Streichmasse wiederzufinden. Madame
„Dasistnochnichtgenug“ hat allerdings die erstaunliche Fähigkeit,
nicht nur das Messer wieder aus der Masse ziehen zu können, sonder
mit dem daran klebenden Fang auch noch ihr Brot mindestens elf Meter
dick zu bestreichen. Und nicht nur das! Sie verteilt den Rest der am
Messer klebenden Creme auf dem Frühstücksteller, den beiden Händen
(einschließlich Handinnen- und -außenflächen), den Wangen, der
Nase, der Stirn, dem bis gerade eben noch blütenweißen Hemdchen,
und natürlich auch großflächig auf dem Frühstückstisch. Das
erstaunliche daran ist, dass man als Beobachter überhaupt nicht
sieht, wie sie das macht! In einem Moment befindet sich eine
Jahresproduktion Nuss-Nougat-Creme eines weltweit operierenden
Lebensmittelkonzerns an einem ob jener Belastung ächzenden
Edelstahlstreichmesser, im nächsten Moment ist Prinzessin
„Dasistallesmeins“ von Kopf bis Fuß nussbraun geschminkt, und
das Esszimmer hat eine nette, essbare und sehr süße Dekoration! In
diesem Zusammenhang ist es mir ein Mysterium, wie es ihr Brot unter
diesen cremigen Umständen schaffen kann, überhaupt noch zu krümeln,
und dann auch noch großräumig!
Unzählige Male schon haben wir Alttiere Prinzessin Schleckermaul erklärt, vorgeführt, demonstriert und gezeigt, dass man das Streichmesser nicht bis zum Anschlag im Glas versenkt. Unzählige Male schon haben wir ihr erklärt, gezeigt, vorgeführt und demonstriert, wie man das Messer am Brot sauber abstreicht. Unzählige Male schon haben wir ihr erklärt, demonstriert, gezeigt und vorgeführt, wie man ein Nuss-Nougat-Brot ordentlich isst, ohne das Esszimmer und/oder die essende Person komplett zu verwüsten. Wir haben gebeten, gebettelt und gedroht. Und immer lächelte Lady „Redetihrnur“, nickte anmutig mit dem Köpfchen und rammte ihr Messer mit Schwung bis auf den Grund des Glases, um nur Augenblicke später glücklich grinsend in einem schokoladenbraunen Chaos zu sitzen.
Der bei uns übliche kleine 3kg-Eimer Nuss-Nougat-Creme würde sicher ein bis zwei Frühstücke länger halten, wenn nicht so erschreckend viel seines Inhaltes letztlich in Spüllappen und Waschbecken landen würde! Es ist ein Trauerspiel! Und auf Dauer doch auch recht teuer.
Außerdem brauchen wir jeden Morgen etliche Minuten länger, um uns schick für den Tag zu machen, weil sich unsere Chaosfrühstücksmeisterin grundsätzlich noch einmal einer porentiefen Reinigung unterziehen und sich umkleiden muss, bevor sie das Haus verlässt. Madame „DasistabermeineSchokolade“ teilte uns unlängst mit, dass es doch viel praktischer sein, würde man sich nur ein einziges Mal am Morgen waschen und anziehen müssen. Wir versuchen nun mit allen Mitteln, sie davon zu überzeugen, doch die zweite Runde ausfallen zu lassen. Dazu müsste sie natürlich bereit und in der Lage sein, sich morgens am Frühstückstisch etwas weniger rustikal zu benehmen. Es ist noch ein weiter Weg…
Kommentare
Kommentar veröffentlichen