Die moderne Welt, in der wir leben, ist ja zuweilen schon
faszinierend.
Früher, als nach Aussage sämtlicher älterer Menschen noch
alles besser war, geriet die alltägliche Ernährung des Familienclans gerne mal
zum „Alle-Mann-Manöver“, wie man unter Seefahrern so gerne sagt. Papa sorgte
mit Keule, Pfeil und Bogen für das Fleisch, die Kinder sammelten genug Holz für
den heimatlichen Feuerkreis, und Mama drechselte aus frisch geschossenem Wild,
einigen Dutzend Beeren und Wurzeln und jeder Menge Kreativität eine ausgewogene
Mahlzeit in drei Gängen für die ganze Höhle.
Seither hat die Küchen- und Mahlzeitenzubereitungstechnik erstaunliche
Fortschritte gemacht, die unter anderem dazu geführt haben, dass meine
Wenigkeit nicht verhungert. Denn bei meinen waidmännischen Fähigkeiten würde
sich essbares Wild höchstens totlachen, statt durch eine gut geführte Keule
oder einen Robin-Hood-mäßigen Schuss mit Pfeil und Bogen meinerseits den Löffel
abzugeben.
Wie der regelmäßige Leser schon längst weiß, bin ich durchaus in der Lage,
mittels Herd, Topfsammlung, diverser Küchengeräte sowie einer ständig
wechselnden Auswahl von Lebensmitteln das eine oder andere essbare Mahl
zuzubereiten. Jedenfalls ist bei mir noch keiner verhungert. Im Allgemeinen
koche ich genügend, um auch am folgenden Tag noch Gelegenheit zu haben, mein
lukullisches Meisterwerk zu genießen. Und hier liegt der Hase im Pfeffer, um
beim Essen zu bleiben.
Es gibt natürlich mehrere Arten, kalte Speisen von gestern wieder zu erwärmen.
Auf dem Herd, im Ofen, meinetwegen auch auf offener Flamme. Aber die
einfachste, schnellste und natürlich auch bequemste Art der Neuerwärmung ist
mit Sicherheit die Mikrowelle. Statt darauf zu warten, bis Töpfe, Schüsseln und
Terrinen im Ofen langsam warm werden, knallt man seine Portion essfertig auf
einen Teller, schiebt selbigen in die Mikrowelle und lässt sie einige Sekunden
bis Minütchen brummen. So schnell kommt man heutzutage zu einer warmen
Mahlzeit!
Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.
Wenn man sich so eine Mikrowelle mal rein äußerlich betrachtet, fallen einem
dann doch gleich eine ganze Reihe Knöpfe und Regler auf, alle mit mehr oder
weniger kryptischen Symbolen behaftet. Vermittels dieser zahlreichen
Bedienelemente soll gewährleistet werden, dass jede Speise bedarfs-, mengen-,
und mundgerecht erwärmt wird. Dazu wäre grundsätzlich das gründliche Studium
der Bedienungsanleitung vonnöten, eine Form der Literatur, die ich persönlich
immer für überfrachtet und größtenteils überflüssig betrachtet habe. Also, weg
mit dem Ding.
Es kann ja nicht so schwer sein, einen Teller mit Kartoffeln, Erbsen und
Möhren, sowie einem ordentlichen Schnitzel in diesem technischen Meisterwerk
warm zu bekommen. Und so schritt ich eines
schönen Tages zur Tat!
Der Knopf zur Regelung der Leistung des Gerätes war bald gefunden, und ebenso
schnell war er ganz nach rechts gedreht. Warum dieser Knopf zwischen „Null“ und
„Volle Pulle“ noch ungefähr zwölf weitere Einstellungen hatte, erschloss sich
mir nicht; war mir auch egal, denn eine alte Volksweisheit sagt ganz richtig:
„Viel hilft viel!“
Nach einigem Herumprobieren fand ich dann auch den Knopf, mit dem man die
Garzeit einstellen konnte. Nach dem Motto „In fünf Minuten ist alles gut!“
pendelte ich mich irgendwo bei 5 Minuten und ein paar Sekunden ein und suchte
den Startknopf. Gefunden, gedrückt, und das Gerät brummte heiter los… Weil fünf
Minuten je nach Laune, Tagesform und Luftfeuchtigkeit immer mal ein weniger
länger dauern können, begann ich in der Zwischenzeit mit dem Herrichten meines
Mittagstisches. Messer und Gabel, dazu ein Gläschen Gallensteiner Nierentritt
und die aktuelle Tageszeitung. Letztere musste ich erst mal suchen, weshalb mir
die ersten Anzeichen, dass mit meinen Wunderofen ganz offensichtlich was nicht
stimmen konnte, nicht auffielen. Weder das erste Zischen überhitzten Wassers,
noch erste zarte Knackgeräusche vom Gemüse drangen an mein Ohr, während ich die
Einzelteile der aktuellen Tagespresse aus allen möglichen und unmöglichen Ecken
des Zimmer zusammensuchte. Erst, als ich meinen persönlichen Mittagstisch zu
meiner Zufriedenheit zusammengestellt hatte, wandte ich meine Aufmerksamkeit
wieder meiner Mahlzeit zu, die in der
Zwischenzeit zu wilden, unkontrollierten Salutschüssen übergegangen war. Mit
heftigen Explosionen und lautem Zischen bedeutete mir die Mikrowelle, dass
meine Speise nun leicht überhitzt war. Ist ja kein Problem, denn wie jeder
weiß, wird durch die Mikrowelle lediglich die Speise erwärmt, nicht aber Teller
oder Schüssel. Mehrere heftige Donnerschläge aus dem Inneren der Mikrowelle
sowie ein lustiges Klingeln wiesen mich nunmehr darauf hin, dass die eingestellte
Garzeit abgelaufen war. Ich öffnete die Tür, wich der dichten Wolke kochend
heißen Wasserdampfes behände aus und griff nach dem Teller. Den ich nach
Bruchteilen von Sekunden und weit außerhalb des Garraumes unvermittelt wieder losließ…
Nicht nur mein Mittagessen brodelte in vulkanischer Hitze, auch der Teller war
glühend heiß! Natürlich übernahm die Schwerkraft sofort ihre Aufgabe und sorgte
für eine großräumige Ausbreitung vormals erlesener Speisen auf dem Laminat. Der
Blick ins Innere des Glutofens war auch nicht sonderlich erfreulich. Die
kümmerlichen Überreste dutzender explodierter Erbsen und Möhren, gemischt mit
Sprenkeln dunkler, festgekochter Sauce und übermalt von zartgelben
Kartoffelfetzen schmückten sämtliche Wände, Boden und Decke des Garraumes. Nur
mit Mühe schob sich das Licht der Mikrowellenfunzel durch das Gewirr zerfetzter
Grundnahrungsmittel. Angesichts des Gemetzels im Inneren der Mikrowelle
wunderte ich mich, dass überhaupt noch etwas meiner so sehnsüchtig erwarteten
Mahlzeit auf dem Boden angekommen war. Einzig das Schnitzel erschien noch
intakt, sah man einmal von den nach dem Freiflug daran klebenden Haaren,
Staubfusseln und dem irgendwie verkohlten Geruch ab.
Meine Pläne für die Mittagspause änderten sich aus naheliegenden Gründen ad hoc.
Aus dem Mittagessen einschließlich politischer Bildung sowie einem sich daran
anschließenden, ausgiebigen Suppenkoma wurde eine konzertierte Reinigungsaktion
mit Lappen, diversen Reinigungsessenzen und einem Spachtel. Nicht nur der
Fußboden musste gefegt, gewischt und desinfiziert werden, auch das Innere des Küchenvulkans
musste (nach Abkühlung zumindest der oberen Belagsschichten) freigekratzt,
gereinigt, desinfiziert und poliert werden. Eine Tätigkeit, die weit mehr Zeit
in Anspruch nahm, als meine Mittagspause es getan hätte… Und Hunger hatte ich
immer noch!
Letzteren stillte ich angesichts des gerade erlebten Desasters durch Einnahme
einiger Scheiben belegter Brote, die garantiert nicht in den Genuss der Mikrowelle
kamen. Die Lektüre der Zeitung wurde verschoben zugunsten der nun doch wieder
hervorgekramten Bedienungsanleitung. Wer
hätte gedacht, dass ein Buch über die Bedienung einer Mikrowelle
gleichzeitig ein Lehrbuch über den praktischen Gebrauch der Wellenausbreitung
zum Zwecke der Wärmeerzeugung sein könnte? Ich vertiefte mich in Theorie und
Praxis elektromagnetisch induzierter Teilchenbewegung, Frequenzen und Wärmeübertragung
und konnte schon bald jeder der zwölf Einstellungen am Leistungsregler einen
Sinn entlocken. Ich war stolz auf mich!
Die ganze Geschichte spielte sich vor vielen Jahren ab. Inzwischen
gehe ich mit einer Mikrowelle ganz selbstverständlich um, wie mit jedem anderen
Haushaltsgerät, sei es Kühlschrank, Waschmaschine oder DVD-Player. Denn wenn mich diese Geschichte eines gelehrt
hat, dann dieses:
Auch, wenn Bedienungsanleitungen eine überfrachtete und größtenteils
überflüssige Form der Literatur sind, lohnt es sich zuweilen doch, sie zu
lesen. Wenigstens die wichtigsten Kapitel…
Kommentare
Kommentar veröffentlichen