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Scherengeklapper

Gestern musste ich mich mal an Michel aus Lönneberga erinnern. Ihr kennt ihn sicher auch noch, wenn nicht aus den Büchern von Astrid Lindgren, dann wohl aus der Serie, die irgendwann vor undenklichen Zeiten im Fernsehen lief, als es nur drei Programme gab und in den Sommerferien das Kinderferienprogramm in ARD und ZDF.
Wenn ich an Michel denke, sehe ich immer einen strohblonden Tunichtgut vor mir, dessen Haare in den meisten Fällen wild zerzaust waren. Ich glaube mich sogar an eine Szene zu erinnern, in der Michel einen Kochtopf auf dem Haupte trug, während ihm mit einer geradezu riesigen Schere die Haare geschnitten wurden. 
Diese Szene ging mir gestern durch den Kopf, als meine Tochter auf meinem Schoß saß und Mama ihr mit Schere, Kamm, einer Handvoll Klammern und unglaublich viel Geduld eine neue Frisur auf den Kopf zauberte. Na gut, nicht wirklich eine neue Frisur, weil Klein Juniorette noch nicht so recht mit Kamm, Bürste, Föhn, Styling-Gel und Haarspray umgehen kann. Aber der Kopfschmuck musste mal wieder kürzer werden, denn lieb Töchterlein konnte kaum mehr sehen vor lauter Haaren.
Nun hat unsere Tochter, neben vielen sehr liebenswerten Eigenschaften, allerdings eine Aufmerksamkeitsspanne, die eher mit der eines koffeingetränkten Eichhörnchens vergleichbar ist. Das stellt ihre Mutter, die eine ebenso geschickte wie geduldige Haardompteuse ist, vor heftige Schwierigkeiten, denn das Frisieren unserer kleinen Dame stellt extreme Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Tempo und Geschicklichkeit der mütterlichen Schnitterin. Kaum ist eine Strähne blonden, zarten Haars gekämmt und zwischen den Fingern eingeklemmt, bereit, auf erträgliche Länge gebracht zu werden, dreht sich das kleine Köpfchen plötzlich (aber nicht ganz unerwartet) der nächsten Attraktion zu. Das ist in den meisten Fällen ihr Bruder, der während der ganzen Tortur aufmerksam die Handbewegungen meiner Frau beobachtet und ohne Unterlass kommentiert. Nicht, dass seine geliebte Schwester noch ein Ohr oder gar die Nase verliert!
Der solchermaßen herausgeforderte Barbier (oder, in diesem Falle, die Barbierette) führt die Schere also mit kleinen, schnellen Schnitten behände über den Kopf, schneidet dort, korrigiert da, kämmt vorne, striegelt hinten, immer begleitet von dem gleichen gebetsmühlenartig vorgetragenen Mantra der Kinderfrisöre: „Schön den Kopf stillhalten! Kopf hoch! Schön stillhalten!“
Am Ende aller Mantras, nach unzähligen schnellen, feinen Schnitten, nach Myriaden von vergeblichen Versuchen, genau diese Haarsträhne zum Zwecke des Scherens festzuhalten, nach vielfachem Durchatmen und Bis-zehn-zählen, nach stummen, nichtsdestotrotz inbrünstigen Gebeten, dass das eine Kind still halten und das andere Kind still bleiben solle, ist es geschafft. Unsere kleine Prinzessin hat wieder eine ordentliche Frisur auf dem Kopf, die ein bisschen (aber eben nicht ganz) so aussieht wie vorher, nur ordentlicher. Und sie sieht jetzt wieder was.
Warum aber, so fragt sich der Leser (vielleicht), saß mein Töchterchen während dieser ganzen Prozedur auf dem väterlichen Schoß?
Nun ja, meine wunderbare Frau hatte mit dem Frisieren sehr klassisch begonnen. Dabei steht das Opf… unser Mädel auf einem Höckerchen, trägt ein hinreißendes Zelt, das sich als Frisörumhang tarnt, und hat den Blick frei geradeaus. In der Theorie bedeutet das, dass der zu bearbeitende Kopf in Arbeitshöhe ist, unser Töchterchen still  und leidlich bequem steht und das Haareschneiden deshalb nur wenige Minuten dauert. Aber grau ist alle Theorie. Um bei unserer Tochter zum gewünschten Ergebnis zu kommen, brauchte es einen Stuhl oder einen Pfahl, an dem wir das zu scherende Kind festbinden könnten. Da unser herrschaftliches Schloss aber aus unerfindlichen Gründen weder über Folterkammern noch -instrumente verfügt, vermittels derer wir die Kinder zart, aber bestimmt zum Stillhalten bewegen könnten, muss eben wieder Vattern ran. Und der trägt sein lieb Töchterlein, nachdem sie über Plattfüße klagte,  geduldig auf den Schenkeln und versucht verzweifelt, sie für das einzig wichtige zu interessieren: Einen unsichtbaren Punkt vor ihrer Nase, damit der Kopf a) oben und b) bewegungsarm bleibt.
Während ich also da so saß, meiner Tochter allerlei schöne Dinge, die sie vor sich zu sehen habe, damit sie den Kopf wenigstens ansatzweise ruhig hielte, erzählte, und meine Angetraute mit flinken Händen die Schere klappern ließ, kam mir ein Gedanke:
Wenn man es sich mal so recht überlegt, scheint es insbesondere für Kleinkinder nur drei grundsätzliche Frisuren zu geben. Zum einen recht unkomplizierte einfache Frisuren, die ein ebenso fixer wie geschickter Frisör (-in, nicht zu vergessen!) dem ungeduldigen Kind auf den Kopf gezaubert hat. Zum Zweiten die langhaarigen Frisuren, die schon lange keinen Frisör mehr gesehen haben und die man mittels exzessiven Gebrauch von Bürste, Föhn und Unmengen von Haarpflegemitteln zu  bändigen versucht, und schließlich c) die raspelkurzen Haare, weil nichts einfacher ist, als dem Knaben (Bevorzugt, denn bei den Mädeln sieht es einfach dämlich aus!) das Gewölle mit der elektrischen Hochleistungshaarschneidemaschine auf eine maximale Länge von zwei Millimetern zu stutzen. Da kann man dann auch nichts falsch machen.
Ich wandere nunmehr mit dem geschärften Blick eines Vaters einer frisch geschorenen Tochter durch meine kleine Welt und ich sehe: Ich habe Recht! Achtet mal drauf.
Übrigens: In den nächsten Tagen ist mein Filius dran, seine Haare stutzen zu lassen. Natürlich ohne Motorsense! 

Wer sich mal selbst erinnern will: 

 


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