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Von O bis O!

Eine der schlimmsten wiederkehrenden Herausforderungen, die unsere moderne, technisierte Welt für uns bereithält, ist der jahreszeitliche Reifenwechsel.
Da ich selbst handwerklich nicht zu den schärfsten Messern in der Schublade gehöre, vertraute ich mich dieser Tage einem Meisterbetrieb an, um der Herausforderung wenn schon nicht mit Muskelschmalz, so doch mit reichlich Hirnschmalz zu begegnen. Leider aber musste ich erfahren, dass es auch unter den wackeren Werkstattmeistern schwarze Schafe gibt. Mein festes Vertrauen darauf, dass den Meistern in den Reifenwechselstationen die Verkehrssicherheit am Herzen liegt, wurde in seinen Grundfesten erschüttert, als ich erfuhr, dass man mir doch tatsächlich Geld für diese Tat an der Sicherheit der Menschheit aus der Tasche ziehen wollte. Nun gut, wenn es denn so sein soll! Mach ich den Wechsel eben selber! Warum auch nicht? Immerhin befindet sich in meinem Fundus alles, was ich brauche, um diese Herausforderung nun eben doch mit ein wenig Muskelschmalz zu meistern.
Ganze vier, herrlich rund geformte, tiefschwarze Winterpneus lungern seit der letzten kalten Jahreszeit im Keller herum, und im Fond meines Familienlasters schlummert auch noch ein Wagenheber nebst Drehkreuzschraubenabmontiergerät (oder wie das heißt) im sanften Sommerschlaf.
Das Auto auf dem heimischen Hof festgenagelt, Arbeitsklamotten angezogen, weil die Reifen nach des Sommers wechselhaftem Wetter hie und da eben doch ein wenig verschmutzt waren, und schon ging es los. Der Theoretiker in mir sammelte sich erst mal nach reichlicher Überlegung alles Material zusammen, was ich in der nächsten Stunde (länger sollte es wohl auch für den Ungeübten nicht dauern...) brauchen würde:
Vier Winterreifen – vorhanden, Mindestprofiltiefe sind 1,6 Millimeter, mir stehen nach amtlicher Messung runde 1,8 µm zur Verfügung. Das ist noch im Limit!
Wagenheber - war im Kofferraum ein wenig angerostet, aber wird schon gehen.
Schraubendingsbums, kreuzförmig – vorhanden.

Ein Blick auf die Unterseite meiner Kutsche zeigte mir nach kurzer Suche den Punkt hinter dem ersten Vorderrad, an dem der Wagenheber angesetzt werden sollte. Das ging ja leicht. Weniger leicht war es, das Auto mittels dieses vermaledeiten Dingens in die Höhe bringen zu wollen. Eine vermutete Übersetzung von 1:16000 heißt hier, ich brauche mindestens 16000 Umdrehungen mit einer irgendwie nur halb passenden Kurbel, um den Wagenheber um gerade mal einen Zentimeter in die Höhe zu bekommen! Dabei bestand noch immer kein Kontakt zur Karosserie! Und auf halbem Wege zum Aufnahmepunkt stockte die Kurbel und ließ sich nicht einmal durch den vehementen Einsatz eines Hammers bewegen, ihren Dienst wieder anzutreten! Festgefressen!
Wie gut, dass es Nachbarn gibt. Der fährt einen kleinen Fiat Punto, war aber dennoch, wenn auch ein wenig skeptisch, bereit, mir seinen Wagenheber leihweise zu überlassen.
Fröhlich, dieses kleine Ungemach hinter mich gebracht zu haben, kurbelte ich munter darauf los. Und tatsächlich: Mein Laster stieg in ungeahnte Höhen auf! Nur, um gleich darauf wieder zu Mutter Erde zu stürzen, während der kleine Fiat-Heber sich unter ihm leise stöhnend zusammenfaltete. Mist.
In einer fließenden Bewegung räumte ich den kaltverformten Wagenheber in die Ecke, drückte meinem verblüfften Nachbarn meinen eigenen störrischen Wagenheber in den Kofferraum und fuhr direkt zum nächsten Autoteile-Händler, um einen vernünftigen Wagenheber zu erstehen. Amtliche fünf Tonnen Hubkraft, mit Pumparm, hydraulisch zu bedienen, und mit kleinen Rädern, die es mir, wenn mir denn der Sinn danach stünde, erlaubten, mein reifenloses Fuhrwerk durch die Stadt zu schieben. Nun, ich habe andere Hobbies.
Vermittels des neu erstandenen High-Tech-Kfz-Anhebegerätes gelang es mir nun in nur wenigen Minuten, meinen Laster hoch genug zu heben, um endlich, endlich den ersten Reifen zu wechseln. Da mir, wie der Leser schon weiß, gewisse körperliche Merkmale fehlen, nahm ich das Hebelgesetz zur Hilfe und stattete meinen … Abschrauber (Wie heißt dieses dämliche Ding?) mit einer Verlängerung in Form meines Sonnenschirmes aus. Dreimal kräftig gezogen, und schon... Nun gut, den Sonnenschirm brauchen wir demnächst ohnehin nicht mehr. Und hässlich wie die Nacht war das Ding auch noch.
Trotzdem gelang es mir, die Muttern mit viel Schweiß zu lösen. Das weitere Abdrehen der Radmuttern mittels dieses kreuzförmigen Werkzeugs führte zu einigen Hautabschürfungen meinerseits, weil dieses merkwürdig geformte Gerät einfach nicht auf den Muttern sitzenbleiben wollte. Eine echte Fehlkonstruktion, die ich dem Hersteller bei nächster Gelegenheit mit einem geharnischten Brief unter die Nase reiben werde. Einstweilen versorgte mich meine treue Ehefrau mit einem gewaltigen Grinsen im Gesicht mit mehreren Lagen Pflaster und einigen aufmunternden Worten. Immerhin hatte ich es geschafft, den Vorderreifen (Sommer) von seiner Aufhängung zu befreien und den Vorderreifen (Winter) auf die Schrauben zu setzen. Das Anziehen der Radmuttern vermittels komischen Kreuzgerätes verlief zunächst störungsfrei. Irgendwo hatte ich gelesen, dass Radmuttern mit einem Drehmoment von 120 Nm angezogen werden müssten. Da ich über keinerlei Gerät zur Messung des Drehmomentes verfüge, versuchte ich mich in mehr oder weniger groben Schätzungen. Zunächst zog ich die Muttern mit aller Kraft an. Dann senkte ich mein Fahrzeug wieder ab, setzte das Kreuzschraubgerät wieder auf und zog noch einmal kräftig nach. Danach drückte ich mit meinem gesamten Körpergewicht auf die Mutter, um sie noch ein wenig fester zu bekommen. Ein alter Handwerkerspruch sagt: „Nach fest kommt ab!“ Wie dem auch sei...
Ich bin der festen Überzeugung, dass das Rad auch mit vier von fünf Muttern fest genug am Auto verschraubt ist. Bei den Billy-Regalen funktioniert es ja auch...
Mein erster Reifen war endlich montiert! Angesichts schmerzender Muskeln, diverser, tiefer Wunden und der einsetzenden Dämmerung beschloss ich, ermutigt durch die Überredungskünste meiner Frau, meines Nachbarn und einiger mir ansonsten völlig unbekannter Zuschauer, die restlichen drei Reifen von einem Fachmann wechseln zu lassen. Koste es, was es wolle!
Ich fuhr also mit einem Winterreifen vorne links und drei Winterreifen im Kofferraum in die Werkstatt und mit dem Bus wieder zurück. Aus Gründen, die ich absolut nicht nachvollziehen kann, wollte der Meister mein Auto da behalten. Und das alles wegen einer einzigen kleinen Schraube...

Wartet nur ab, bis der Winter vorbei ist! Bis dahin habe ich dem Autoteile-Markt noch den einen oder anderen Besuch abgestattet! Und dann nagel ich mir die Reifen selbst an das Auto! Ha!

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